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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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Unterflics, Fotografen und Medizinmänner machten abwechselnd ihre
Bemerkungen über den Fall. So konnte ich mir nach und nach die Geschichte
zusammenreimen:
    Junge Leute, die in einem Nachbarhaus damit
beschäftigt gewesen waren, Trümmer zu sortieren, hatten durch das Fenster mit
den kaputten Scheiben einen Mann auf dem Boden des Zimmers liegen sehen. In der
Annahme, es handle sich um einen Angehörigen der Flak, waren sie
rübergerannt... um festzustellen, daß der Tod durch Erschießen eingetreten war.
Unglücklicherweise hatten sie vor dieser Entdeckung aber schon die Leiche
berührt und herumgedreht und so die eventuellen Spuren es Täters verwischt. Als
dann der Kommissar des 15. Arrondissements auf der Bildfläche erschienen war —
zusammen mit Faroux, der zufällig bei ihm auf dem Revier herumgelungert hatte —
, konnte von irgendwelchen Indizien natürlich keine Rede mehr sein.
    Die Papiere des Toten wiesen ihn als Henri Briancourt
aus, dreiundvierzig Jahre, Beruf: Schauspieler.
    Nach den Aussagen der anderen Mieter — die
Vermieterin, Madame Planchais, war nicht zu Hause — hatte er erst seit dem 13.
hier gewohnt. Ein ruhiger Mann, ebenso schweigsam wie leise. Sei immer gegen
Mittag fortgegangen und kurz vor der Sperrstunde wieder heimgekommen. Nur am
Abend zuvor, da habe er Lärm gemacht, als er die Treppe hinaufgegangen sei.
Müsse wohl einen sitzen gehabt haben.
    „Schauspieler war der?“ fragte einer der
Fotografen.
    Er kannte sich aus in Film und Theater, hatte
alle einschlägigen Zeitschriften abonniert. Ein aficionado, ein
Besessener, einer, der Fernandel nicht mit Harpo Marx verwechselte. Er habe
dieses Gesicht nirgendwo gesehen, meinte er, und auch den Namen des Mannes nie
gehört. Einer seiner Kollegen mutmaßte, er könne vielleicht seine Rollen unter
einem Pseudonym gespielt haben. Faroux bemerkte daraufhin, daß die Garderobe
des Toten nicht sehr raumfüllend sei. Offensichtlich glaubte der Inspektor
nicht so recht an die Berufsbezeichnung im Ausweis, vor allem nicht wegen der
Schuhe unter dem Bett. Das aggressive Gelb gefiel ihm nicht! Wahrscheinlich
knarrten sie nicht „akzentfrei“...
    Die Ärzte diskutierten eine Weile, bevor sie
sich auf ein gemeinsames Urteil einigen konnten. Danach waren die Schüsse auf
Briancourt aus einer Entfernung von etwa vierzig Zentimetern von schräg unten
abgefeuert worden. Tatwaffe: eine Browning, Kaliber 7,65. Das verriet
ihnen eine der beiden Hülsen, die von dem Aufräumtrupp nicht plattgetreten
worden war. Der Mörder mußte demnach sehr viel kleiner gewesen sein als das
Opfer. Niemand in der Nachbarschaft hatte die Schüsse gehört.
    Briancourt war noch nicht lange tot. Die
Fachleute konnten nicht sagen, wann genau der Tod eingetreten war, aber es
mußte ungefähr während des Bombenangriffs gewesen sein. Faroux und der
Kommissar schlossen das daraus, weil die Schüsse in dem Lärm untergegangen sein
mußten. Der Tathergang ließ sich folgendermaßen rekonstruieren: Briancourt war
gerade dabei, sich anzukleiden — um diese Zeit stand er gewöhnlich auf — , als
er von seinem Mörder überrascht wurde. Der mußte eine gute Portion
Kaltblütigkeit besessen haben, um seine Tat in dem Moment zu begehen, in dem es
überall ringsherum knallte.
    Durch die Fachsimpelei erfuhr ich noch, daß es
sich nicht um einen Raubmord handelte. Zehntausend Francs waren auf dem
Tischchen gefunden worden und weitere zweitausend in Briancourts Hosentasche.
Außerdem hörte ich, daß das Totenhaus zwei Eingänge hatte: einen am Boulevard
und einen in der Rue Desnouettes. Hier lautete die Hausnummer 103.
    Anscheinend waren die hohen Herren der Meinung,
daß ich jetzt genug gehört hatte. Faroux und der Kommissar tuschelten
miteinander und sahen in meine Richtung. Dann kam der Inspektor auf mich zu.
Ich packte den Stier sofort bei den Hörnern.
    „Nett, daß Sie mich verdächtigen“, sagte ich
möglichst sanft, „aber...“
    „Ich halte Sie nicht für den Mörder“, fiel mir
Faroux ins Wort und schob mich hinaus auf den Flur.
    „Ach nein? Und wofür halten Sie mich dann?“
    „Ich habe Ihnen nur eine Frage gestellt“,
brummte er. „Mehr wollte ich gar nicht von Ihnen. Sie haben reagiert, wie es
Ihre Art ist. Dafür tragen Sie selbst die Verantwortung, schließlich sind Sie
volljährig. Ich für meinen Teil will nichts weiter von Ihnen. Außerdem sage ich
nichts mehr...“
    „Florimond, mein Freund“, säuselte ich, „Sie
werden mir doch wohl noch sagen
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