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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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den feuchtnassen Schienen zu rutschen. Bei diesem Tempo bestand wenig Aussicht,
vor Einbruch der Dunkelheit in Bois-le-Roi anzukommen. Und so war es dann auch.
    In Melun gab es einen längeren Aufenthalt. Ein
paar Kilometer weiter war auf dem Gleis irgend etwas nicht in Ordnung. Jeder
der Fahrgäste gab seinen Senf dazu, und so konnte ich nicht rauskriegen, ob ein
Munitionszug entgleist und in die Luft geflogen war, eine Bombe einen Trichter
gerissen hatte, ein Flugzeug abgestürzt oder alles gleichzeitig passiert war.
Ich schenkte mir die Details und ging in den Speisewagen.
    Endlich fuhr der Zug unter dem ärgerlichen
Geschimpfe der Fahrgäste weiter.
    In Bois-le-Roi stieg ich als einziger aus,
wenige Minuten, bevor die Verdunkelungsvorschrift in Kraft trat. Auf dem
kleinen Bahnhof spielte eine schrille Klingel die Begleitmusik zu dem schwachen
Blinken der Blendlaterne.
    Auf dem Vorplatz befand sich ein Bistro. Ich
ging hinein, um ein Gläschen zu trinken und mich nach dem Weg zu erkundigen.
Hoffentlich legte sich Madame Gremet nicht mit den Hühnern schlafen!
    Nach der Auskunft des Kellners hinter der Theke
lag die Rue Jean-Jaurès nicht direkt um die Ecke. Nein, ganz im Gegenteil, ganz
am anderen Ende... und schwer zu finden in der Dunkelheit, vor allem, wenn man
das Nest nicht kenne. Es sei denn... He, Arthur!
    Arthur saß an der Theke und rauchte Pfeife. Er
wollte zufällig in genau dieselbe Richtung und konnte mir den Weg zeigen. Wenn
er noch eben sein Kraut zu Ende rauchen dürfe...
    Heute abend noch nach Paris zurückzufahren, kam
nicht in Frage. Ich nahm also ein Zimmer. Das Bistro war gleichzeitig auch das
Bahnhofshotel. Als ich den Anmeldezettel ausgefüllt hatte, stand Arthur auch
schon ganz zu meiner Verfügung. Ich gab noch eine Runde aus, und dann gingen
wir los.
    Draußen stieß Arthur gegen einen Ligusterkübel,
was ein wüstes Geschimpfe über das Wetter, den Krieg und die Leute im
allgemeinen bei ihm auslöste. Es war stockdunkel und regnete. Kein Stern war am
Himmel zu sehen. Der Wind rauschte in den Baumkronen.
    Nach einer Viertelstunde Fußmarsch blieb mein
Führer stehen. Schon lange waren wir von Straßen mit Bürgersteigen auf
schmutzige Wege übergewechselt.
    „So, ich bin zu Hause“, sagte Arthur. „Die Rue
Jean-Jaurès können Sie jetzt gar nicht mehr verfehlen. Geradeaus, die erste
links, und dann ist es die dritte rechts. Ein Straßenschild werden Sie
vergeblich suchen, irgendwelche Fanatiker haben es letzte Woche abmontiert...
Aber es ist kinderleicht zu finden…“
    Ich bedankte mich, und wir verabschiedeten uns.
Dann ging ich geradeaus, die erste links, und zählte die Straßen.
    Durch die strikte Befolgung der
Verdunkelungsvorschrift sahen die Einfamilienhäuser trostlos und verlassen aus.
Verschlossene Häuser, die von mehr oder weniger bissigen Hunden bewacht wurden.
Die Köter rissen an ihren Ketten und bellten mich an.
    Je weiter ich ging, desto undurchdringlicher
schien mir die Nacht. Vom nahen Wald drang das Rauschen der Bäume an meine vom
eiskalten Wind malträtierten Ohren. In der Ferne schlug die Kirchturmuhr
neunmal.
    Nein, Gremet und seine Mutter würden meine
aufopfernde Suche kaum zu schätzen wissen. Allerdings muß ich zugeben, daß
Faroux mich regelrecht aus meinem Büro vertrieben hatte.
    Schließlich gelangte ich zu der Straße ohne
Schild, die aber dennoch den Namen des Sozialistenführers trug. Mit Hilfe
meiner Taschenlampe suchte ich die Nr. 32 und fand sie an der Ecke eines Weges,
der direkt ins freie Feld zu führen schien.
    Das Haus bestand nur aus Keller und
Hochparterre, in das eine Treppe von fünf, sechs Stufen führte. Ein Vorgarten
trennte das Häuschen von der Straße. Das Gittertor stand offen. Die Hausnummer
auf einem der beiden Pfosten konnte man kaum lesen. Ohne mich damit
aufzuhalten, einen Klingelknopf zu suchen, ging ich in den Garten. Auf der
vorletzten Stufe der Eingangstreppe rutschte ich aus. Um meinen Fall
abzuschwächen, streckte ich beide Arme vor. Durch den Aufprall öffnete sich
langsam die Eingangstür.
    Ich stand in einem dunklen Flur, der irgendwie
seltsam roch. Rechts nahmen meine Augen einen dünnen Lichtstreifen wahr, der
aus einem Türspalt drang. Stimmengewirr, vermischt mit jammerndem Stöhnen,
drang an mein Ohr. Lautlos schlich ich zu der Tür und spähte durch den Spalt.
Was ich sah, verblüffte mich. Ich konnte kaum ein erstauntes Pfeifen
unterdrücken und nahm meinen Revolver in die Hand. Mit einem Fußtritt
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