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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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hinunterzublicken.
    Kurz darauf kam Hélène mit dem gewünschten
Sandwich zurück. Kauend sah ich die Post durch, drei Briefe und eine
Streifbandzeitung.
    Aus zwei Umschlägen zog ich uninteressante
Prospekte. Im dritten endlich befand sich etwas, das Geld für die Agentur Fiat
Lux versprach: Ein Mann hatte Zweifel an der Treue seiner Frau und bat
mich, einen meiner Angestellten zur Verfügung zu stellen. Nicht zu ihrer
Verfügung — die Frau war ja wahrscheinlich schon versorgt — , sondern zu
seiner, des Gehörnten oder eventuell Gehörnten. Hélène hatte Reboul auf
den Briefrand geschrieben. Ich war mit ihrem Vorschlag einverstanden. Reboul
eignete sich ausgezeichnet für diese Arbeit.
    Ich zündete mir eine Pfeife an und überflog zur
Entspannung die Zeitung, die mit der Post gekommen war: Der Stacheldraht, „Organ
der repatriierten Kriegsgefangenen“. Nach meiner Rückkehr aus der
Gefangenschaft hatte ich sie abonniert. Unter der Rubrik „Suchmeldungen“ auf
Seite 4 las ich die folgende Anzeige:
    Bin seit mehreren Monaten ohne Nachricht von
meinem Sohn, Jean Alphonse Gremet, Kennummer 70123, Stalag XB. Hinweise bitte an Madame Gremet, 32, rue
J.-Jaurès, Bois-le-Roi (Seine-et-Marne).
     
    Ich öffnete eine Schublade und holte den
zusammengefalteten Glanzpapierstreifen hervor, der jedem bekannt ist, der einen
Verwandten oder Freund in Kriegsgefangenschaft sitzen hat. Vor acht Tagen hatte
ich den Streifen von Jean Gremet, einem Kameraden aus Sandbostel, erhalten. Beunruhigt
über das Schweigen seiner Mutter, hatte er mich gebeten nachzusehen, ob ihr
etwas zugestoßen sei, und ihm so bald wie möglich zu antworten. Er ersparte mir
keine Einzelheit seines Heimwehs, vergaß aber die Hauptsache: Die Adresse seine
Mutter! Glücklicherweise stockte die Post nicht nur in eine Richtung, und die
alte Dame hatte die glänzende Idee gehabt, im Stacheldrabt eine Anzeige
aufzugeben. Ich notierte mir ihre Adresse und nahm mir vor, Mutter und Sohn in
den nächsten Tagen zu beruhigen, als das Telefon im Vorzimmer klingelte. Die
Verbindungstür stand auf, und ich hörte Hélène „Hallo“ sagen und dann: „Ah,
guten Tag, Monsieur Faroux.“
    Schnell schrieb ich „Bin nicht da“ auf einen
Zettel, eilte zu meiner Sekretärin und hielt ihr die Lüge unter die Nase.
    „Oh, das tut mir aber leid“, sagte sie prompt,
„Monsieur Burma ist nicht in seinem Büro... Ja... Ja... Er ist gegen halb vier
zurückgekommen, aber sofort wieder weggegangen... Nein, wohin hat er nicht
gesagt... Nein, auch nicht, wann er wieder zurück ist... Ja, das wird am besten
sein, rufen Sie später noch mal an.“
    Hélène legte den Hörer auf die Gabel.
    „Der Inspektor scheint große Sehnsucht nach
Ihnen zu haben. Was will er von Ihnen?“
    Neugier blitzte in ihren grauen Augen auf.
    „Hat er’s nicht gesagt?“
    „Nein.“
    „Tja, dann weiß ich’s auch nicht. Hat er Ihnen
denn geglaubt?“
    „Den Eindruck hatte ich nicht. Schließlich kennt
er Sie schon eine ganze Weile.“
    Ich ging zum Fenster. Hélène stellte sich neben
mich.
    „Schöner Tag heute“, sagte sie, um das Gespräch
in Gang zu bringen.
    „Ja“, stimmte ich zu. „Wer’s mag... Wie zum
Beispiel der Kerl vor dem Zeitungskiosk da unten. Der stand eben schon da, als
Sie das Sandwich geholt haben.“
    „Sicher ‘n verfrorener Typ, der die Wärme der
Frühlingssonne sucht.“
    „Vielleicht sucht der noch ganz was anderes.“
    „Was denn?“
    „Weiß ich nicht... und ich hab auch nicht die
Absicht, ihn danach zu fragen.“ Ich zog meinen Mantel über und setzte meinen
Hut auf. „Faroux taucht bestimmt jeden Augenblick hier auf. Und da ich keinen
Wert auf ein Gespräch mit ihm lege, geh ich ‘ne Runde spazieren.“
     
    * * *
     
    Ich hängte meinen Verfolger ab. Als das
geschafft war, nahm ich die Metro. Drei Minuten vor Abfahrt eines Zuges nach
Fontainebleau kam ich an der Gare de Lyon an.
    Ich setzte mich in eine Ecke des letzten Waggons
und holte die Zeitung mit dem unkomplizierten Kreuzworträtsel raus. Vielleicht
um weniger kindische Probleme zu vergessen, widmete ich mich wieder diesem
Gedankensport. Ich wurde ziemlich schnell damit fertig. Zur Strafe für diese überraschende
Leistung veränderte sich draußen vor den Abteilfenstern das Wetter. Der Zug
schien die Sonne in Paris zurückgelassen zu haben. Dunkle Wolken bedeckten den
Himmel. In Alfortville sah ich auf einer Brücke eine Frau ihren Schirm öffnen.
    Der Zug fuhr langsam, so als habe er Angst,
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