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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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er
keuchend hervor, ohne zu wissen, daß er damit meine Frage beantwortete.
    „Rue Desnouettes?“
    Jetzt kamen auch die anderen aus dem
Luftschutzkeller auf die Straße. Das eilige junge Mädchen natürlich als erste,
wie es nicht anders zu erwarten war. Sie war es, die den Straßennamen
wiederholt hatte.
    „Ist was passiert?“ fragte ein anderer.
    „Nein“, brummte der Alte vom Zivilschutz
ärgerlich. „Die Bomben waren aus Pappmaché. Eine ist in eine Küche gefallen und
hat den Abfluß verstopft.“
    „Ich mache keine Witze, Mann“, gab der andere
zurück.
    „Ich auch nicht, verdammt nochmal! Sie stellen
vielleicht Fragen! ... Zwei Häuser sind völlig zerstört.“
    „Wo denn genau?“ fragte das junge Mädchen.
    „Zum Boulevard hin.“
    Ich hatte den Eindruck, daß die Augen des
Mädchens ganz kurz aufleuchteten.
    „Großer Gott!“ rief ein Passant, der sich zu
unserer Gruppe gesellt hatte. „Doch wohl nicht die Nr. 103? Da wohne ich
nämlich!“
    „Nein, ich glaub, das war nicht die 103“,
beruhigte ihn der Mann vom Zivilschutz. Klang nicht sehr überzeugend.
    Der Bewohner des Nr. 103 hielt es für besser,
sich selbst davon zu überzeugen, und rannte in Richtung Rue Desnouettes. Auch
unsere Luftschutzkeller-Gruppe löste sich auf.
    Das junge Mädchen überquerte, eilig wie immer,
die Straße. Die Märzsonne ließ ihr kastanienbraunes Haar kupferrot leuchten.
    Gleich in mehrfacher Hinsicht hatte die hübsche
Kleine meine Neugier geweckt. Da ich nichts Dringendes zu erledigen hatte,
konnte ich ihr folgen.
    Ich folgte ihr.
     
    * * *
     
    Wir gingen die Rue Lecourbe wieder zurück und
bogen dann in die Avenue de Suffren ein. Das junge Mädchen blickte sich nicht
ein einziges Mal um. Offensichtlich interessierte es sie nicht, ob sie
beschattet wurde.
    Die Metrostation Sèvres-Lecourbe war erst
vor ein paar Tagen für den Verkehr freigegeben worden. Es war zwölf Uhr
fünfunddreißig. Das Mädchen mischte sich unter die Fahrgäste, ich rannte direkt
hinter ihr her. Schließlich wollte ich nicht durch die automatische Sperre von
ihr getrennt werden.
    Man konnte nicht behaupten, daß wir in
Windeseile auf den Bahnsteig Richtung Nation gelangten; aber es hätte auch
noch länger dauern können. Fast sofort kam die Metro. Wir stiegen in den ersten
Waggon. Ein pickliger Gymnasiast schien von dem Mädchen ganz geblendet zu sein.
Aufgeregt flatterten seine Augenlider. Wo sollte er angesichts einer solchen
Schönheit auch hinsehen? Um wie ein Gentleman zu wirken, stand er auf und bot
ihr seinen Sitzplatz an. Von ihrem Lächeln wird er wohl heute noch träumen.
    Ich stand im Gang. Das junge Mädchen saß mir
direkt gegenüber. Manchmal kreuzten sich unsere Blicke. Ihre wundervollen
braunen Augen sahen mich mit demselben Interesse an, wie sie einen Holzklotz
angesehen hätten.
    An der Station Pasteur stieg ein Mann mit
Krücken zu. Wahrscheinlich war das junge Mädchen in einer Klosterschule erzogen
worden. Sofort überließ sie dem Behinderten ihren Platz, den sie den
Frühlingsgefühlen des Pennälers zu verdanken hatte.
    Kurz vor Montparnasse wurde ich durch die
Menge weiter nach hinten gedrängt. Mühsam arbeitete ich mich wieder zu dem
Mädchen vor. Sie hatte sich nicht von der Stelle gerührt. In Montparnasse stiegen viele Fahrgäste aus, aber mehr noch stiegen zu. Jetzt war ich durch
einen zeitunglesenden Arbeiter im Overall von dem jungen Mädchen getrennt. Die
Türen schlossen automatisch, ein Pfiff ertönte...
    Ich stieß einen Fluch aus.
    Blitzschnell hatte sie die Tür an den Griffen
zurückgeschoben und war auf den Bahnsteig gesprungen. Im selben Moment setzte
sich der Zug in Bewegung.
    So dynamisch und waghalsig ich auch bin, ich
konnte ihrem Beispiel nicht folgen. Die Waggontür hatte sich endgültig
geschlossen. Wir befanden uns bereits im Tunnel.
    Ich war wie ein Anfänger reingelegt worden.
     
    * * *
     
    Die Stationen Edgar-Quinet und Raspail waren geschlossen. In Denfert stieg ich in den Zug Richtung Etoile um, und in Pasteur nahm ich die Linie zur Porte de Versailles. Hier endete meine unterirdische Reise.
    Daß ich von einem ebenso schlauen wie
kaltblütigen Mädchen hereingelegt worden war, ließ mein Interesse an dem
Abenteuer alles andere als verfliegen. Im Gegenteil, ihr seltsames Verhalten
weckte meine ganz besondere Neugier. Ich sagte mir, es könne sehr anregend
sein, das Haus, vor dessen Eingang sie mich beinahe umgerannt hatte, mir mal
genauer anzusehen.
    Die Buchhandlung war
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