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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
Autoren: Else Ury
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Tür hinter Mariettas Mädchenjahren ...
    Drunten im Biedermeierzimmer auf dem grünen Ripssofa sitzen die Großeltern Hand in Hand. Sie sprechen nicht viel miteinander, die beiden alten Leutchen. Aber sie fühlen dasselbe: Dankbarkeit, herzerhebende Dankbarkeit für ein rechtes, erfülltes Leben. Da tritt die Jugend zu den beiden Altgewordenen, die Enkelin, brautlich geschmückt.
    »Seelchen ...« sagt die Großmama und nichts weiter. Schweigend zieht sie ihren Liebling ans Herz.
    Die Finken da draußen in der Linde müssen sich fast die Köpfchen aus dem Halse drehen. Nein, was gibt es hier heute alles zu sehen und zu bewundern. Auto um Auto rollt vor das weiße Gartengitter. Festliche Menschen ziehen in das Rosenhaus. Dort den blonden Riesen - oh, den kennen sie gut.
    Horch - Musik. Aus den weitgeöffneten Fenstern klingen Harmoniumweisen. Und jetzt eine Frauenstimme, weich und voll »Lobe den Herrn, o meine Seele«. Frau Ursel singt den Eltern, singt ihrem Kinde den Brautgesang. Ein neugierig fürwitziges Finklein hält es nicht mehr im grünen Blätterhaus. Es wagt sich auf die Steinterrasse, ja, sogar bis auf die Fensterbrüstung. Es kommt gerade zur rechten Zeit. Soeben betritt das goldene Paar den blumengeschmückten Raum, von Kindern und Kindeskindern, von Verwandten und Freunden empfangen. Hinter ihnen schreitet das junge Paar. Horst Braun mit warmem Leuchten in den blauen Augen. Marietta tiefbewegt, blumenhaft zart im Brautgewand, wie die Teerosen in ihrer Hand.
    »Mein Urselchen!« sagt Frau Annemarie leise, als der letzte Ton verklungen ist. Aber sie kommt nicht dazu, der Tochter zu danken, jetzt noch nicht. Ein kleines, schwarzlockiges Mädchen im weißen Spitzenkleidchen, graziös wie ein Elfchen, tritt vor. Anitas Töchterchen Rosita, das erste Urenkelchen, bringt der Großmutter den goldenen Myrtenkranz. Ein wenig zittert Frau Annemaries Hand, als sie jetzt den Ehrenschmuck auf das weiße Haar drückt, als sie ihrem Mann die Goldblüten an den schwarzen Rock heftet. Dann wieder Harmoniumklänge. Sie geleiten das alte und das junge Paar hinaus durch den Garten. Die Spätrosen glühen und duften, die Linde rauscht leise mit den Blättern, und die Finken bringen den Brautleuten einen Jubeltusch. So schreiten sie durch ihren lieben Rosengarten zu den Wagen, die sie zur Kirche führen.
    Es ist dieselbe Kirche, in der Doktor Brauns Nesthäkchen vor fünfzig Jahren den Bund fürs Leben geschlossen hat. Mit den alten Großeltern zugleich empfängt das junge Brautpaar den Segen Gottes.
    Alle sind sie zu dem seltenen Doppelfest erschienen, all die Lieben, aus Nord und Süd, aus Ost und West. Brasilien ist vollzählig vertreten. Milton Tavares, ein wenig gealtert, aber immer noch stattlich. Selbst ihren Mann hat Anita zur europäischen Reise bewogen, ihn den Großeltern und der Schwester zugeführt. Marietta hat mit dem Schwager Freundschaft geschlossen, als er ihr erzählt hat, wie sich die sozialen Verhältnisse auf seinen Farmen gebessert hätten, daß er bemüht sei, gesunde Lebensbedingungen für seine Arbeiter einzuführen. Anita, eine blühendschöne, elegante Frau, hat den Arm um ihre Zwillingsschwester geschlungen.
    »Mir verdankst du dein Glück, Jetta, mir ganz allein«, flüstert sie ihr übermütig ins Ohr. Bruder Juan ist ein sehnig schlanker Junge geworden, völlig südamerikanisch, bis auf sein helles Äußere. Nein, wie hat sich der Junge verändert. Ganz ritterlich benimmt er sich schon gegen die ihm fremd gewordene Schwester.
    Da sitzen die Lüttgenheider, einen frischen Meereshauch mit sich bringend. Vating, heute sehr friedfertig, neben den Brasilianern. Mutting Ilse strahlt über das ganze Gesicht: Ihr Herzenswunsch ist heute in Erfüllung gegangen. Selbst Tante Marlene hat nach langen Jahren Grotgenheide verlassen, um dem goldenen Ehrentag der einstigen Jugendfreundin beizuwohnen. Da sind die Zehlendorfer, Onkel Hans, immer noch auf Neckfuß mit seinen hübschen Nichten, die Mädel inzwischen zu jungen Damen erblüht. Tante Vronli mit leicht ergrautem Scheitel neben Onkel Georg, der noch den eigenen, freilich etwas zu eng gewordenen Hochzeitsfrack trägt. Gerdas kluges Gesicht nickt Marietta herzlich zu. Selbst Kunzes sitzen heute mit an der Tafel, anders hat es Frau Annemarie nicht getan. Oh, es ist ein stattlicher Kreis Getreuer, der sich heute voller Verehrung um das greise Jubelpaar schart.
    Depeschen und Blumen - die Glocke steht nicht still. Woher haben sie es nur erfahren, all die
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