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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
Autoren: Else Ury
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in der Galleria Mazzini bei Carmens feurigen Klängen den caffe ghiaccio - den kühlenden Eiskaffee. Sie sandten Kartengrüße an die Waterkant, an den Gardasee und nach Brasilien. Und ein jeder von ihnen hatte das sonderbare Gefühl, als hätte mit diesem Tage das Leben erst für ihn begonnen.
    Horst dachte bald nicht mehr daran, daß er nur einen kurzen Aufenthalt in Genua beabsichtigt hatte, daß es ihn vorher zur Waterkant heimgetrieben hatte. Er hatte sich in einem der Hotels in St. Margherita einlogiert und genoß nebenbei die Gastfreundschaft der Saninis. Er betrachtete es als selbstverständlich, daß er so lange in St. Margherita blieb wie Marietta.
    Überall sah man die beiden zusammen, den blonden Hünen und das goldhaarige, liebreizende Mädchen mit den tiefschwarzen Augen. Sie wanderten am Meeresufer durch Orangen-, Zitronen- und Feigenhaine nach Rapallo. Sie saßen still an dem wogenumrauschten Castello, dem alten Schloß am Meer. Sie segelten nach Portofino und nach Nervis Luxusstrand. Sie schwelgten in dem Kunstreichtum der Palazzi zu Genua, in Pegli in den berühmten, exotischen Palmengärten der Pallavicini.
    So schwanden die Tage dahin, die sie gern festgehalten hätten. Marietta stand an ihrem Fenster und blickte über das Meer. Fünfmal würde sie noch die Sonne als glutroten Feuerball in das grünblaue Meer tauchen sehen. Dann ging es mit den Großeltern wieder nach Norden heim ins Rosenhaus, zurück zur Arbeit und zur Pflicht. Das Zusammensein mit Horst ging damit zu Ende, und das schmerzte sie. Sie würden in Berlin doch weiter zusammenkommen - ja, aber anders. Dann war er wieder der Vetter Horst und sie eine der Kusinen, die er vielleicht, wie einst, kaum beachtete. Nein, das war unmöglich. Marietta fröstelte. Die Sonne war im Meer erloschen.
    Für den nächsten Tag war ein Ausflug nach dem Righi, einer der weinbekränzten Höhen von Genua, und dem Campo santo, dem wegen seiner Kunstwerke berühmten Kirchhof, geplant. Die schon etwas bequem gewordene Tante war froh, daß Marietta jetzt so gute Gesellschaft hatte, daß sie ihre Terrazza am Meer nicht zu verlassen brauchte. Der Onkel, den Kopf voller geschäftlicher Angelegenheiten, glaubte genug getan zu haben, wenn er seine junge Großnichte und den Signore im Auto mit nach Genua nahm. Dort benutzten sie den Funicolare, die zur Höhe gehende Drahtseilbahn zum Righi. Dann saßen sie hoch oben auf der Aussichtsterrasse und freuten sich der herrlichen Rundsicht über Genua, den Hafen, das Meer und die Ligurische Alpenkette. Der Gipfel des Righi trug eine Festung. Auch der ganze Bergabhang, der steil in einen von schroffen Bergwänden eingefaßten Talkessel abfiel, war befestigt. Unten, ganz unten in der Tiefe lag der Campo santo mit seinen weißen Marmordenkmälern.
    »Jetzt steigen wir ab in das Land des Todes«, sagte Horst scherzhaft. »Er hat wirklich etwas Unheimliches, dieser Abstieg«, pflichtete Marietta bei. »Der Himmel bewölkt sich zum ersten Male, seit ich an der Riviera bin. Ich glaube, wir bekommen ein Gewitter. Es ist furchtbar schwül.« Sie blieb erschöpft stehen. Horst blickte prüfend in die sich schwer heranwälzenden Wolken. »Bei uns an der Waterkant kenne ich mich aus mit dem Wetter. Aber hier im Süden ist es wohl anders. Ein merkwürdig schwefelgelber Himmel. Wirklich schaurig wirkt der einsame Bergkessel in dieser Beleuchtung.«
    »Kein Lüftchen weht. Kein Blatt bewegt sich an den Ölbäumen. Als ob die Natur den Atem anhielte. Bedrückend legt es sich einem auf die Brust. Wären wir doch nur erst unten!« Marietta eilte wie gejagt.
    Gott sei Dank, nun waren sie unten. Da waren wieder Menschen, Verkaufsbuden mit Blumen, Früchten und kühlen Getränken.
    »Möchtest du dich erfrischen, Jetta?« fragte Horst sorglich. »Der Abstieg war heiß und anstrengend.«
    »Danke, nein. Es ist nur diese furchtbare, drückende Schwüle, die auf mir lastet.« Als sie den Kirchhof betraten, fielen die ersten Tropfen. Groß und schwer. »Wir bleiben in den Galerien. Da werden wir nicht naß. Auch sollen dort die schönsten Grabdenkmäler sein«, schlug Horst vor.
    Die Stadt des Todes nahm die beiden auf. Marmortempel, weiße Marmorgestalten, überlebensgroß. Sie stellten die Verstorbenen dar, aber auch die Überlebenden, Trauernden. Hier nahm ein Gatte weinend Abschied von seiner Frau, die der Engel des Todes berührt hatte. Dort trug der Engel bereits ein Kind in den Armen empor, während die Eltern verzweifelt die Hände nach
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