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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
Autoren: Else Ury
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statt ihrer das Wort. »Man wird heute von dort oben eine herrliche Fernsicht haben. Schicke uns das Auto zurück, Enrico.« Tante Eugenia, die Schwester der alten Donna Tavares, war eine stattliche Dame mit einem stattlichen Bärtchen über der Lippe.
    Marietta, die angestrengt auf das mit kleinen, weißen Wellenköpfchen gegen das Ufer sprudelnde Meer hinausgeblickt hatte, schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Tante Eugenia, aber heute geht es nicht. Ich möchte Onkel Enrico bitten, mich mit nach Genua hineinzunehmen ...«
    »Aha - sage ich es nicht? Palazzo rosso oder Palazzo bianco, welcher von beiden hat es dir angetan?« lachte der alte Herr.
    »Heute keiner von beiden, Onkel. Nicht einmal der Palazzo Doria trotz seiner herrlichen Murillos. Habt ihr denn ganz vergessen, daß heute die Patria einläuft? Ich glaube, man sieht sie bereits ganz hinten am Horizont.« Marietta hatte heiße Wangen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß jemand heute einen andern Gedanken haben konnte. Der Onkel bewaffnete sich mit dem Fernglas. »Die Patria - nein, mein Kind, die Patria ist gerade noch mal so groß. Ein spanisches Schiff ist dies, man erkennt die Farben.« »Die Patria kommt erst gegen Abend«, meinte die Tante. »Wir können ruhig unsern Ausflug unternehmen. Und überhaupt, der Signore wird schon zu uns nach St. Margherita hinausfinden. Er hat sicherlich Empfehlungen von meiner sorella, deiner Großmama, und bringt uns Grüße.«
    »Horst Braun kommt aus New York. Er ist schon seit Monaten aus Sao Paulo fort. Wer weiß, ob er eure Adresse hat. Die Großmama wird ihm gewiß nur eure Stadtadresse in Genua angegeben haben. Und - ich habe es seinen Eltern versprochen, falls ich bei seiner Ankunft in Genua bin, ihm sogleich ihre Grüße zu übermitteln.«
    Die Stimme des jungen Mädchens klang erregt. Undenkbar, einen Ausflug zu unternehmen, während Horst unweit landete.
    Der Onkel, stets galant gegen die junge Großnichte, kam ihr zu Hilfe. »Fahrt morgen nach Portofino Culm. Man erwartet die Patria gegen Mittag. Und ich kann es verstehen, daß Marietta sogleich die Grüße von ihren Eltern in Empfang nehmen und die ihr aufgetragenen ausrichten will. Presto - rasch - mach dich bereit.« Marietta sah den Onkel dankbar an.
    Tante Eugenia meinte zwar, daß morgen die Schneiderin vorgehe, aber Marietta hatte schon mit entschuldigendem »Pardon, wenn ich aufstehe« den Frühstückstisch verlassen. Unter hohen Palmenwedeln, zwischen Kakteen und Lorbeerbüschen eilte sie den terrassenartig vom Meer zum Hause hinaufkletternden Garten empor. Die weiße, sonnenbeschienene Villa mit ihren Säulen und Galerien erinnerte an ihr Vaterhaus in Sao Paulo. Auch der Garten mit seiner südländischen Vegetation. Im Haus war es kühl, die schwarz-weiß gequaderten Marmorfußböden waren spiegelblank. Altitalienische Bilder schauten von den Wänden. Aus hohen Terrakottavasen dufteten Rosen. Vornehmheit und Reichtum strahlte die Villa aus. Das Fremdenzimmer zeigte dieselbe Eleganz wie die übrigen Räume des Hauses. Über dem Bett bauschte sich weißer Tüll zum Moskitonetz. Von den Fenstern, die auf eine Galerie mündeten, blickte man weit hinaus auf das Meer. Irgendein dunkler Punkt am Horizont ließ Marietta ihre Überlegung, welches Kleid sie zur feierlichen Abholung von Horst anlegen sollte, rasch beenden. Wenn dies schon die Patria war - mit fliegender Hand griff sie nach einem schlichten, weißen Sommerkleid. Eine zartrosa Teerose bildete den einzigen Schmuck. O Gott, kroch das Auto heute. Sonst war sie im Flug in Genua gewesen. Heute währte es eine Ewigkeit, bis der felsige Strand von Nervi mit seinen weißen Hotelpalästen sichtbar wurde. Durch die Riviera di Levante - zur Rechten die mit Oliven-, Feigen- und Maulbeerbäumen bepflanzte Ligurische Alpenkette, zur Linken das blaue Mittelländische Meer, das sie stets aufs neue entzückte. Wie mochte Horst beim Anblick des europäischen Festlands zumute sein? Genua - endlich! Niemals war es Marietta herrlicher, malerischer erschienen als heute. In Terrassen baute es sich vom Meere an die grünen Berge hinauf. Vornehme Paläste, hohe Palmen, weiße Villen in Weinberge geschmiegt; überfüllte Großstadtstraßen, fremdländisches Hafengetriebe. An der Via Baldi verabschiedete sich Signor Sanini von seiner Begleiterin. »Marietta, falls du noch nach Pegli hinauswillst, steht dir das Auto zur Verfügung. Du hast noch mehrere Stunden Zeit, bis die Patria einläuft.«
    »Grazie tante - vielen
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