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Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar

Titel: Nesthäkchen 10 - Nesthäkchen im weissen Haar
Autoren: Else Ury
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da ging gerade die Gartentür.
    »Da ist es, unser Kind. Ich hab' sja gewußt, daß es nichts weiter auf sich haben würde.« Obgleich sie eigentlich gerade das Gegenteil angenommen hatte. Warum schaute das Kind denn nicht auf? Es ging so in Gedanken verloren, als habe es Gott weiß was für schwere Rätsel zu lösen.
    Das steife Knie der Großmama mußte mit, ob es wollte oder nicht. Vorsichtig zur Tür - ihr Mann rührte sich nicht. So - nun war sie draußen. Ob Frau Trudchen auch alles für Marietta recht heiß gehalten hatte?
    Sie steckte den Kopf zur Küche hinein, wo Frau Trudchen, die getreue Seele, die dampfende Suppe auffüllte, während ihre Adoptivtochter, die dreizehnjährige Lotte, bereits mit dem Tablett darauf wartete.
    »Nun, Trudchen, alles in Ordnung? Vergessen Sie nicht, das Ei zum Spinat zu kochen. Unser Kind sieht blaß aus. Wir müssen es ein bißchen pflegen.«
    »Mein Jott, nu hat Frau Jeheimrat schon wieder keine Ruhe nich jehabt. Als ob Lotteken und ich Fräulein Marietta nich jut versorgen täten. Frau Jeheimrat is doch kein Jüngling mehr und braucht ihr Nachmittagsschläfchen.« Wirklich, Frau Trudchen, die allzeit treu sorgende, war recht unzufrieden mit ihrer Herrin. Die klopfte ihr begütigend auf die Schulter. »Nanu, was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen, Trudchen? Ein Jüngling bin ich mein Lebtag nicht gewesen.« Sie lachte herzlich, daß es auch über das Gesicht der Guten wie Sonnenleuchten durch gewitterschwere Wolken ging. Lottchen aber stimmte so belustigt in das Lachen der alten Dame ein, daß auch die Suppe in dem Teller ausgelassen über den Rand schwippte. So ansteckend wirkte Frau Annemaries Lachen noch immer. »Na, da haben wir's ja, Lotteken, kannste dich nich 'nbißchen vorsehen. Und Frau Jeheimrat braucht auch jar nich so zu lachen, wenn man's jut mit ihr meinen tut«, ereiferte sich Frau Trudchen.
    »Das weiß ich ja, Trudchen. So, Lottchen, nun trage die Suppe rein. Ei, da bist du ja, mein Seelchen. Es ist recht spät geworden.« Die letzten Worte waren an Marietta gerichtet, die in diesem Augenblick auf der zum oberen Stockwerk führenden Treppe auftauchte. Sie hatte oben ihr Stübchen, wo sie inzwischen abgelegt und sich frischgemacht hatte. »Großmuttchen, du nicht in deinem Lehnsessel? Das ist aber unrecht, daß du mir deinen Nachmittagsschlaf opferst. Das darfst du nie wieder tun. Versprich es mir.« Liebevoll zog Marietta den Arm der Großmutter durch den ihrigen und betrat mit ihr das Speisezimmer. »Fängst du auch noch an, deine alte Großmutter herunterzuputzen? Frau Trudchen hat das schon zur Genüge besorgt«, scherzte die Großmama. »Schlaf du mal, wenn du in Sorge bist, daß irgend etwas passiert sei.«
    »Ja, was soll denn passiert sein? Großmuttchen, du siehst am hellen Tage Gespenster. Ich kann gar nicht früher zu Hause sein. Hast du die Absicht, dich jeden Tag um mein spätes Heimkommen aufzuregen? Dann esse ich lieber im Internat der Frauenschule, Großmuttchen. Es wäre vielleicht überhaupt richtiger, daß ich Frau Trudchen nicht doppelte Mühe mache«, überlegte das junge Mädchen, zum Löffel greifend. »Du bist wohl nicht ganz bei Trost, Kind! Willst deiner Großmama das Geld forttragen? Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Und Frau Trudchen würde dir das sicher übelnehmen. Nun iß, Seelchen, iß und laß dir's schmecken. Ich hätte ja gern mit dem Essen auf dich gewartet. Aber du weißt ja, Großpapa ist ungemütlich, wenn es nur fünf Minuten nach halb zwei wird. Du brauchst keine Angst zu haben, wir bleiben bei unserer Tischzeit. So, Seelchen, nun nimm noch von dem Spinat, und iß das Kompott. Und dann erzähle!«
    Frau Annemarie wartete. Aber Marietta hatte es nicht gar so eilig mit dem Berichten. Nachdenklich schaute sie auf jeden Kirschstein, den sie an den Rand des Tellers in gleichmäßigen Abständen legte. Wie rührend die Großmama um ihr Wohl besorgt war. Durfte sie da noch schwanken? Marietta wußte nicht, daß sie eine ganze Zeit lang den Kompottlöffel an die Lippen gehalten hatte, ohne die daraufliegende Kirsche in den Mund spazieren zu lassen. Ihre Gedanken waren weit fort. Die pendelten zwischen den Arbeiter-Lehmhütten auf den brasilianischen Kaffeeplantagen und dem großelterlichen Rosenhaus hin und her. Wo brauchte man sie notwendiger? In die Augen der alten Dame, die mit großmütterlicher Freude an der liebreizenden Enkelin hingen, trat von Sekunde zu Sekunde wachsende Unruhe. Da war etwas nicht im Lot. Dazu
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