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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Autoren: Else Ury
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Gesangsunterricht zu nehmen, was sie sich doch so brennend wünscht. Unter der Bedingung, daß sie ebenfalls deinen Wünschen entsprechend bei der Bank eintritt. Sieht man dann, es geht nicht, sie fühlt sich unglücklich in dem ihr aufgezwungenen Beruf, kann man immer noch weitere Entschlüsse treffen. Sieh es als einen Versuch an, Rudi.«
    »Nein, ich bin für Ganzes, nimmer für Halbes. Mit ernstem Wollen, mit der festen Absicht, ihre Pflicht zu tun, soll sie zur Bank gehen. Dann will ich mich auch nicht gegen die Gesangstunde sperren. Wohlverstanden, nur für den Privatgebrauch, Annemarie, lediglich zu ihrem Vergnügen.« Der Professor griff jetzt endgültig nach der Zeitung. Er hatte seinen Gleichmut im Gespräch mit seiner Frau wiedergefunden. Frau Annemarie war mit dem Erfolg ihrer Unterredung zufrieden. Nun würde sie auch mit Ursel fertig werden. Sie nahm an dem Schreibtisch ihres Mannes Platz und griff nach der Kartei. Die Rechnungen mußten hinaus, das neue Quartal hatte bereits begonnen. Wie sie im Anfang ihrer Ehe Assistentin ihres Mannes gewesen war, so war sie allmählich seine Sekretärin, seine rechte Hand bei all seinen wissenschaftlichen Arbeiten geworden. Zwischen Rezeptblöcken und anderen Formularen schaute ein Brief mit großen steilen Buchstaben heraus. Vronlis letztes Schreiben aus München. Nun war sie schon bald ein halbes Jahr von zu Hause fort, die Vronli. Auch mit Vronli hatte es Kämpfe gesetzt. Freilich, nicht so heißblütige, wie soeben mit ihrer jüngeren Schwester. Denn Vronli hatte des Vaters ruhige Art, aber auch seine zähe Bestimmtheit. Sie ließ sich nicht davon abbringen, Säuglingsschwester zu werden, anstatt als Krankenschwester an des Vaters Klinik, wie dieser es wünschte, zu arbeiten. Schon als Kind hatte sie eine Vorliebe gezeigt für alles Schwache, Hilfsbedürftige. Wenn sie die Blumen im Garten pflegte, so galt sicher den wenigst entwickelten, den verkümmerten ihre Hauptsorgfalt. Hatte man eine Maus in der Falle gefangen, so mußte man sie vor Vronli hüten; denn die gab ihr unweigerlich die Freiheit wieder. Diese Hilfsbereitschaft für alles Kleine, Schwache machte sie zur Säuglingspflege ganz besonders geeignet. Obwohl es eine Enttäuschung für den Vater bedeutete, auf die pflichttreue, zuverlässige Hilfe seiner Großen verzichten zu müssen, die Mutter hatte auch hier die gütige Vermittlerin gespielt.
    Freilich hatte sie nicht damit gerechnet, daß das Küken die Schwingen sogleich gebrauchen und davonfliegen würde aus dem elterlichen Nest. Es gab doch in Berlin genug Säuglingsheime, an denen sie tätig sein konnte. Aber nein - das Glück ist ja stets da, wo man nicht ist. Vronli setzte es mit ruhiger Sachlichkeit durch, nach München an das mustergültige Schwabinger Krankenhaus zu gehen. Und nun? Sah so das Glück aus? Frau Annemarie entfaltete den engbeschriebenen Bogen und begann den Brief zum soundsovielten Male zu lesen.
    »Es ist abends spät. Ich habe diese Woche Nachtwache. Ihr sitzt jetzt traulich im Wohnzimmer zusammen. Ganz deutlich sehe ich Euch alle vor mir. So gemütlich seid Ihr beisammen, daß man auch ganz gern mal auf ein Stündchen zu Euch auf Besuch käme. Am Tage hat man gar keine Zeit, an zu Hause zu denken. Man ist wie eine Maschine, die frühmorgens um sechs in Betrieb gesetzt und abends wieder ausgeschaltet wird.
    Alles geht hier systematisch am Schnürchen, ein Tag wie der andere. Abends sind einem die Glieder so schwer, als wären sie wirklich eiserne Teile einer Maschine; man sinkt in sein Bett, knapp, daß man noch die Fähigkeit hat, einen abgerissenen Knopf anzunähen. Aber denkt nur nicht, daß ich mich dabei nicht wohlfühle. Wieviel Freude gibt einem der Tag! Wie befriedigt ist man, wenn man eins von den kleinen, elenden Geschöpfchen, die man meist in jämmerlichem Zustand übernimmt, durch liebevolle Sorgfalt sich entwickeln sieht. Fünfzehn Stück habe ich jetzt zu bemuttern. Behutsam wie mit Eiern muß man mit ihnen umgehen. Der Haupttag in der Woche ist der Wiegetag; darauf konzentriert sich alles Hoffen. Vaterle, nach einer gut verlaufenden Operation kannst Du nicht glücklicher sein, als ich es bin, wenn die Wiegetabelle die vorgeschriebenen Gramme Gewichtszunahme aufweist. - Hier mußte ich unterbrechen. Die kleine Gesellschaft meldete sich und wollte frisch gebündelt werden. Nun geht es bereits auf Mitternacht. Ihr seid sicher schon im Bett. Schlaft wohl, Ihr all meine Lieben daheim. Ich will jetzt meine Kinder
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