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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
Autoren: Else Ury
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Geschäft zu stehen. Nur schade war's, daß sie trotz des geduldigen Wartens ohne das Gewünschte heimkehrte. Und zwar aus dem einfachen Grunde, weil das vergeßliche kleine Fräulein die zum Kauf berechtigende Karte auf dem Kinderstubentisch hatte liegenlassen.
    Viel Spaß machte es den Kindern, die den Ernst der Zeit nicht durchschauten, zur sogenannten ‚Butterpolonäse‘ anzutreten.
    Da standen die Leute zu vieren aufgestellt, oft von einer Straßenecke bis zur andern, viele Stunden um ein Viertelpfund, oder wenn's hoch kam, ein halbes Pfund Butter. Aber manchmal geschah's auch, daß die Butter, nachdem man Gott weiß wie lange gestanden und bei der Winterkälte fast erstarrte, ausverkauft war.
    Trotz aller dieser Schwierigkeiten und Opfer erlahmte der Wille zum ‚Durchhalten‘ im deutschen Volke nicht.
    Großmama wollte nicht erlauben, daß Nesthäkchen sich in Sturm und Regen durch das lange Stehen einer Erkältung aussetzte. Klaus durfte schon eher der Witterung trotzen, das war ein kräftiger Junge. Denn weder Hanne noch Fräulein konnten solange von Hause fortbleiben.
    Aber leider hatte Klaus nicht viel Geduld. Nicht nur, daß er drängelte und sich dadurch bei den Umstehenden unbeliebt machte, er hatte es sogar mal gewagt, anstatt ganz hinten anzutreten, wie es sich gehörte, sich gleich in die ersten Reihen hineinzumogeln. Das war ihm aber schlecht bekommen. Der Polizist, der stets die Ordnung bei der Butterpolonäse aufrecht erhielt, zog ihn am Ohr hervor, und er durfte sich überhaupt nicht wieder mit anstellen. Seitdem war er nicht mehr zum Butterladen zu kriegen; lieber futterte er Marmeladenstullen mit Käse oder Wurst belegt.
    Gewiß, die Jugend konnte sich behelfen. Großmama aber sollte nicht um ihr Butterbrötchen kommen. Dafür sorgte Nesthäkchen getreulich. Nach Tisch, wenn Großmama ihr Nachmittagsschläfchen hielt, machte sich Annemarie mit warmen Überschuhen, mit Pelzkäppchen und Muff, wie zu einer Nordpolfahrt ausgerüstet, auf den Buttereinkauf. Oft verabredete sie sich dazu mit Margot und Vera. In Gesellschaft der Freundinnen war das Warten nur halb so schlimm.
    »Also Punkt halb vier am Savignyplatz zur Butterpolonäse!«, rief Annemarie den Freundinnen heute beim Abschied nach der Schule wieder zu.
    Es war ein tolles Schneewetter. In wildem Tanz wirbelte der Sturm die Silberflocken zur Erde herab, man konnte kaum die Augen aufhalten. Wie die Schneemänner sahen die Leute auf den Straßen aus.
    Und trotzdem wand sich bereits eine lange, lange Menschenschlange an den Häusern entlang, als Doktors Nesthäkchen, den Blondkopf weißt überpudert, vor dem großen Buttergeschäft an der Ecke erschien. Der Verkauf begann eben erst. Dabei standen die Leute schon seit Mittag um zwölf, um nur ganz bestimmt noch etwas Butter zu erhalten. Manche hatten sich Stühlchen mitgebracht und ließen sich darauf nieder. Hier und da strickte eine fleißige Frau für den fernen Mann oder Sohn an dem feldgrauen Strumpf, soweit sie es mit ihren klammen Fingern vermochte.
    Vergeblich spähte Annemarie in dem Schneegetreibe nach Vera aus. Ob die am Ende des schlechten Wetters wegen nicht kommen durfte? Margot hatte bereits aus demselben Grund abgesagt. Auch Fräulein wollte Annemarie durchaus nicht fortlassen. Aber die hatte lachen behauptet, sie sei nicht aus Zucker, daß so ein bißchen Schnee sie gleich aufweichen würde. Sie hatte sich doch an der Nordsee gründlich gegen jede Witterung abgehärtet. Und Großmama hatte schon zum Frühstück keine Butter gehabt, da wollte Annemarie sie abends damit überraschen.
    Nein, Vera kam sicher nicht mehr. Annemarie mußte sich jetzt auch unbedingt anstellen, denn von Minute zu Minute wuchs die Schlange. So lang war sie noch nie gewesen. Auf zwei bis drei Stunden Wartens konnte sich Nesthäkchen gefaßt machen.
    Aber diese Aussicht schreckte Annemarie nicht. Es ging ganz gemütlich bei den Butterpolonäsen zu. Sie waren ja alle Leidensgefährten, die da standen, das verband sie miteinander. Und da man sonst nichts zu tun hatte, verkürzte man sich die Zeit durch Unterhaltungen über die Kriegs- und wirtschaftliche Lage. Die Frauen tauschten Kochrezepte aus, bei denen keine Fette notwendig waren, oder lasen sogar Feldpostbriefe ihrer Angehörigen vor. Nein, Annemarie fand es immer sehr ulkig bei der Butterpolonäse.
    Heute aber wurde die Geschichte nach und nach etwas ungemütlich. Der feine Schnee, der Nesthäkchen zuerst Spaß gemacht, drang allmählich mit
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