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Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg

Titel: Nesthäkchen 04 - Nesthäkchen und der Weltkrieg
Autoren: Else Ury
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es ganz gut machen«, Marianne stimmte eifrig zu.
    Auch Marlene und Vera wollten sich gern beteiligen.
    Annemaries nettes Fräulein war niemals Spielverderberin. Sie erklärte sich bereit, die Oberaufsicht zu übernehmen und die Maschinennähte zu nähen.
    »Den Stoff liefere ich – Tante Albertinchen war so gut, mir gestern Geld zu einem Opernhausbillett zu schenken, ich sollte ‚Hänsel und Gretel’ sehen. Aber wenn ich sie bitte, daß ich statt dessen lieber Kleiderstoff für Trude kaufen möchte, wird sie es mir sicher erlauben«, rief Annemarie lebhaft. Sie fühlte plötzlich, wie die schwere Last, die ihr den ganzen Nachmittag auf der Seele gelegen, schwand. Ohne Unbehagen konnte sie jetzt des Kriegskindes Winterstrauß anschauen.
    Noch eine wichtige Frage gab es zu erörtern – die Farbe des Kleides. Die meisten der unpraktischen kleinen Damen waren für mattblau. Aber schließlich bekannten sie sich doch zu Fräuleins Ansicht, daß ein rotes Kleid für die Trude praktischer sei.
    Am nächsten Tage blieb der kleine Mittagsgast aus. Bis gegen Abend hielt Hanne das Essen warm, doch das Kriegskind kam nicht. Als es aber auch den darauffolgenden Mittag nicht erschien, meinte die Großmama: »Da ist sicher irgendwas nicht in Ordnung. Ich werde heute Nachmittag Hanne mit dem Essen hinschicken und nachfragen lassen.«
    Annemarie, deren Gewissen sich wieder bemerkbar machte – denn am Ende kam die Trude nicht mehr, weil sie ihr böse war – erbot sich , mit Fräulein hinzugehen.
    So wanderten Fräulein und Doktors Nesthäkchen am Nachmittag in die schmale, schmutzige Gasse, die bei dem fahlen Dezemberlicht noch düsterer ausschaute.
    »Hier wohnt die Trude?« Unwillkürlich rümpfte Annemarie die Nase, als Fräulein ein baufälliges, wenig einladendes Haus betrat.
    Auf dem engen Hof kribbelte es von Kindern. Sie mußten denselben durchschreiten, um in das Quergebäude zu kommen, in dem das Kriegskind zu Hause war.
    »Puh – ist das hier eine Luft!« Das verwöhnte kleine Fräulein hielt sich die Nase zu, als es eine altersschwache Treppe emporstieg.
    Vier Treppen hoch an einer Tür klopfte Fräulein. Ein kleiner musbeschmierter Junge öffnete. Annemarie blickte durch dicken Wäschedunst in die Küche, in der eine Frau am Waschfaß stand.
    Fräulein fragte nach Trudes Mutter.
    »Fritze, zeig mal die Damens Bescheid«, die Frau rubbelte weiter auf ihre Wäsche los.
    Der musbeschmierte Fritze lief voran in einen stockdunklen Gang. Dort öffnete er eine der vielen Türen und schrie hinein: »Frau Lehmann, Se kriegen Besuch!«
    Nesthäkchen hielt sich bang hinter Fräulein. Es war ihr unsäglich beklommen zumute in dieser Dunkelheit, Enge und Armut. Aber die kleine Stube, die sie jetzt betraten, war bei aller Dürftigkeit nett und sauber. Am Fenster, vor dem ein Primeltöpfchen blühte, saß die Blinde mit ihrem Strickzeug. Trude lag daneben auf einem aus zwei Holzstühlen gebildeten Ruhebett.
    Als sie Fräuleins und Annemaries ansichtig wurde, verklärte sich ihr blasses Gesicht.
    »Bleiben Sie sitzen, Frau Lehmann«, Fräulein drückte die blinde Frau, die höflich aufgestanden war, wieder auf ihren Schemel. »Wir kommen nur mal auf einen Augenblick heran, um zu hören, was mit unserem kleinen Mittagsgast los ist, warum die Trude sich nicht mehr bei uns sehen läßt?«
    »Hast du einen schlimmen Fuß?« Annemaries wies erschreckt auf das linke, in festem Verband liegende Bein des Mädchens.
    »Ich bin neulich gefallen, als ich von euch kam und habe mir das Bein gebrochen«, gab Trude Auskunft.
    »O weh, armes Kind, mußt du große Schmerzen aushalten? Habt ihr auch einen Arzt?« erkundigte sich Fräulein mitleidig.
    Ja, der Armenarzt war dagewesen, hatte Stilliegen verordnet und wollte mal wieder mit vorsprechen.
    Nesthäkchen, das sonst so kecke und redselige, brachte kein Wort heraus. Hätte es doch die Trude bloß nicht fortgelassen an jenem Kränzchennachmittag! Abends war Tauwetter eingetreten, da wäre die Trude sicher nicht gefallen.
    »Aber wäre es nicht besser, wenn du im Bett bleiben würdest, Trude, du liegst so schlecht auf den Stühlen«, meinte Fräulein.
    »Ich habe kein Bett«, Trude wurde rot bis an die hellblonden Haare.
    »Wir haben es verkaufen müssen, wie es uns so schlecht ging«, entschuldigte sich die blinde Frau. »Trude schläft seitdem auf dem Strohsack. Ich möchte, daß sie jetzt mit dem kranken Bein in meinem Bette liegt, aber das will das Kind durchaus nicht.«
    Lieber Gott – so
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