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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Autoren: Ralf Isau
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werden?«
    Yonathan schluckte. Die Färbung der Gesichtshaut entglitt nun endgültig seiner Kontrolle; sie rutschte in ein sattes Rot ab. Während er den Blick gesenkt hielt und unter seinen Fingernägeln nach etwaigen Schmutzpartikeln fahndete, versicherte er mit kratzender Stimme: »Ja, das wollte ich eigentlich sagen.«
    Schweigen. Yonathan wartete und wartete, scheinbar endlos lang, aber es tat sich nichts. Endlich hob er verunsichert den Blick und starrte in ein ebenmäßiges Engelsgesicht, über das aus schwarz funkelnden Augen dicke Tränen kollerten.
    »Warum hast du das nicht schon früher gesagt?«, brach es endlich aus Bithya hervor. »Die ganze Woche läufst du in großen Bögen um mich herum und sagst kein Wort! Seit meine Mutter gestorben ist, waren alle einfach nur nett zu mir, aber für alle war ich eben nur das kleine, arme Mädchen, das keine Eltern mehr hat. Keiner hat so etwas zu mir gesagt wie du eben.«
    Die plötzlich gar nicht mehr so kratzbürstigeStachelwortspuckerin wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.
    Yonathan starrte verwirrt auf seine neue Freundin und hoffte insgeheim, dass derartige Ausbrüche nicht zur alltäglichenÜbung würden. Irgendwie hatte er schon immer das Gefühl gehabt, Mädchen seien so eine Art andere Wesen, die nuräußerlich Ähnlichkeit mit Menschen hatten, innerlich aber voll tiefer, unergründlicher Rätsel steckten.
    Aber dann drängte er den Gedanken beiseite und gab der Freude freien Raum.
    Tatsächlich gestalteten sich die folgenden Wochen, Monate und Jahre überwiegend erfreulich. Bithya blieb mit ihrem lebendigen, wachen Geist zwar weiterhin eine gelegentlich recht unbequeme Freundin, aber ihre offene Art, mit der sie Yonathan so manches Mal auf seine Macken aufmerksam machte, war in Wirklichkeit nur ein Zeugnis echter und unerschütterlicher Kameradschaft.
    Yomi kehrte nach Cedanor zurück. Er trug einen Auftrag des siebten Richters in seiner Tasche.
    »Reise so schnell wie möglich nach Kitvar und überbringe Navran Nachricht von uns. Sage ihm, dass alles gut gegangen ist, und bitte ihn, so schnell wie möglich nach Gan Mischpad zu kommen«, lautete Yonathans Anweisung.
    Der Wunsch ging in Erfüllung. Im Sommer, als das Meer ruhig und die Gewässer wieder sicher waren, schiffte sich Navran Yaschmon auf die Weltwind ein und zweieinhalb Monate später schlossen er und sein Pflegesohn sich in die Arme.
    Gimbar blieb mit Schelima in Ganor. Er wollte immer in der Nähe Yonathans sein, da er sich enger mit diesem verbunden fühlte als vielleicht irgendein anderer der Gefährten. Er übernahm Baltans Handelskontor in der Gartenstadt und machte es durch weise Entscheidungen und ein schon bald sprichwörtliches Verhandlungsgeschick zur wichtigsten Niederlassung nach dem Hauptsitz in Cedanor.
    Die Botschaft vom Erscheinen des siebten Richters sorgte im ganzen Cedanischen Reich für Jubel. Die schwarzen Priester Temánahs wurden aus den Städten und Dörfern gejagt und nur in der Hauptstadt gestattete der Kaiser eine Vertretung des Südreiches, die dem Austausch von diplomatischen Noten dienen sollte.
    Die veränderte Lage erlaubte Baltan, Sahavel und Yehsir nach Cedanor zurückzukehren. Der listige alte Kaufmann durfte wieder seine Funktion als Ratgeber des Kaisers einnehmen und sorgte an dieser Stelle für so manche weise Entscheidung des Regenten.
    Felin dagegen, der Sohn des Kaisers, zog es vor, sein zukünftiges Reich kennen zu lernen. Er verließ Gan Mischpad in östlicher Richtung. Beim Abschied sagte er zu Yonathan: »Wenn du mich einmal brauchst, dann werde ich da sein, mein Freund. Verlass dich darauf.«
    Yonathan zweifelte nicht an diesen Worten. Er selbst hatte ja die Prophezeiung ausgesprochen, die Felin zum zukünftigen Kaiser bestimmte – also musste der Prinz eines Tages zurückkehren. Auch besaß er noch das Pergament, das ihn und Felin gemeinsam im Thronsaal des Sedin-Palastes zeigte. Und dieses Ereignis lag noch in der Zukunft.
    Immerhin verstand Yonathan nun auch, weshalb es gerade die Eintragungen vom 1. Mai 1707 gewesen waren, zwischen denen er das jahrhundertealte Schriftstück in den Geschäftsbüchern seines Großvaters gefunden hatte. An diesem Tag schlossen England und Schottland den Act of Union, einen Vertrag, der beide Königreiche zu Großbritannien vereinte. Wer immer die alte Prophezeiung gerade zwischen diese Seiten des angestaubten Folianten versteckt hatte, musste doch zumindest eine Ahnung von der wahren
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