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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Autoren: Ralf Isau
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Menschen eine Art sechsten Sinn dafür, Personen von gleichem Wesen zu erkennen. Deswegen hatte ihn Navran schon von Anfang an für einen Träumer gehalten, vielleicht sogar für Geschan, den siebten Richter. Din-Mikkith jedenfalls hatte ihn mehr als einmal mit diesem Namen angesprochen. Selbst der niederträchtige Baum Zephon und der temánahische Heerführer Sethur hatten solche Andeutungen gemacht. Baltans Erzählungen über die Träumer und die Vermutung, dass auch die Richter Neschans zu den Unsrigen gehörten, waren weitere Steinchen in diesem Mosaik.
    Die Äußerungen Felins zu der Zeit, als sie sich kennen lernten, mussten wohl ebenso dazugerechnet werden. Der Prinz sprach damals über das gegenseitige Vertrauen. »Wenn du der bist, für den ich dich halte, dann durfte deine Antwort nur so und nicht anders lauten«, hatte er gesagt. Für wen hatte er ihn denn gehalten? Etwa auch für Geschan? Felins Worte beim späteren Besuch der geheimen Höhlen unter dem Palastberg bekamen in diesem Licht plötzlich einen Sinn: »Ich hatte das Gefühl, dieses Wissen stehe dir zu.« Jonathan hatte sich damals zwar gefragt, welches Eigentumsrecht er an diesem Wissen haben konnte, aber er war nie auf die Idee gekommen, dass es das war, wovon alle sprachen.
    Und dann war da noch einmal Benel gewesen, in den Bochim. »Auch der siebte Richter sieht diesen Ort«, hatte er gesagt, und Jonathan war überhaupt nicht aufgefallen, dass Yehwohs Bote nicht von zukünftigen Ereignissen gesprochen hatte, sondern von der Gegenwart. Er hatte ihn, Jonathan, gemeint. Selbst als Benel ihm anvertraute, dass er »als einziger lebender Mensch die Bochim sehen« dürfe, war ihm nichts aufgefallen. All diese Hinweise hatte er einfach übersehen. Blind und taub war er durch halb Neschan getappt. Seine Sinne hatten sich der Wahrheit verschlossen, weil diese ihm viel zu phantastisch, viel zu abwegig erschien.
    »Ihr habt es alle gewusst!«
    »Und Ihr habt es nicht gewusst, Geschan? Glaubt Ihr wirklich noch immer, Ihr hättet es nicht gewusst?«
    Jonathan musste sich eingestehen, dass Goel Recht hatte. Aber er hatte sich immer gesträubt die Wahrheit anzuerkennen, weil er sich für unwürdig hielt.
    »Ich bin doch nur ein Knabe.«
    »Ich glaube nicht, dass Ihr lange an dieser Meinung festhalten werdet.«
    Jonathan sah verwundert auf und blickte in ein schalkhaftes Lächeln. »Wie meint Ihr das, Goel?«
    »Ich habe hier jemanden für Euch mitgebracht. Schaut selbst.« Goel wies zu jener Stelle, von der er unter den Bäumen hervorgetreten war. In diesem Moment löste sich die zierliche Gestalt eines Mädchens aus den Schatten. Langes, schwarzes Haar floss in unzähligen Locken über ihre Schultern und dunkle Augen versprühten das Licht eines ungebändigten Willens.
    »Die Stachelwortspuckerin!« Noch ehe die Worte ganz heraus waren, erkannte Jonathan, dass er einen Fehler begangen hatte. Schnell wischte er sich die tränenfeuchten Wangen trocken.
    »Könntest du das bitte noch einmal wiederholen?« Das Mädchen baute sich vor Jonathan auf und stemmte schwungvoll die Fäuste in die Seiten.
    Jonathan schluckte. »Bithya! Ich wünsche dir allen Frieden Neschans. Schön, dass du dein Reiseziel gesund erreicht hast. Sind Baltan, Schelima, Sahavel und die ›Handelsgehilfen‹ auch wohlauf?«
    Bithyas Miene entspannte sich ein wenig. »Es geht ihnen gut. Wir haben Zirgis’ Soldaten ganz schön an der Nase herumgeführt!« Ein glockenhelles Lachen erklang. »Aber es ist alles gut gegangen. Baltan, Schelima und Sahavel warten in Goels Haus. Der Rest der Karawane ist in Ganor abgestiegen.«
    »Das ist gut.« Jonathan nickte zufrieden und atmete innerlich auf, da die brenzlige Situation vorerst überstanden schien.
    »Wo ist Gurgi?«
    Der Klang des Namens allein genügte, um die kleine Masch­Masch-Dame aus ihrem Versteck zu locken. Während Gurgi dem Halsausschnitt ihres Herrn entschlüpfte, geriet in Jonathans Kopf ein neues Räderwerk in Bewegung. Wo war Gurgi gewesen, als er eben noch in seinem Bett, auf Jabbok House, gelegen hatte? Was war mit seinem Großvater? Suchte er schon nach ihm – vielleicht gerade jetzt – in einem verlassenen Zimmer? Und was war mit seinen Freunden? Wo waren Yomi, Gimbar, Felin, Yehsir und nicht zuletzt Kumi?
    Fragen über Fragen und so wenige Antworten. Eines allerdings wurde ihm klar: Jonathan besaß plötzlich die Erinnerung zweier Leben. Er war nicht länger nur der Knabe aus Kitvar, der Zögling Navran Yaschmons, der nicht
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