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Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters

Titel: Neschan 02 - Das Geheimnis des siebten Richters
Autoren: Ralf Isau
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Weile auszuruhen. Er setzte sich auf den Boden, der gar nicht feucht war. Ein seltsamer Nebel war das. Er würde ein wenig ruhen. Vielleicht eine Stunde, nicht länger.
    Während die Schwingen des Schlafes ihn umfingen, dachte er an Haschevet und an den siebten Richter. Goel würde staunen, wenn er den Stab wieder sähe und wenn er hörte, was Yonathan alles erlebt hatte, um ihn sicher in den Garten der Weisheit zu tragen. Er hatte Schiffbruch erlitten, war unter Piraten und Räuber gefallen, von einem Kaiser gefangen gehalten worden und hatte schließlich noch ein totes, verfluchtes Land durchquert – ja, sie hatte wirklich nicht mit Bitternis gespart, die Wüste Mara.
      
      
      

VI.   Die Erkenntnis
     
    Jonathan schreckte von seinem Bett hoch. Was hatte ihn geweckt? Im Zimmer schwebte ein Hauch blau-weißen Lichts. Er ließ den Blick schweifen und fand schnell die Ursache des silbrigen Schimmers: Vor dem Sprossenfenster, das an klaren Winternächten den Park von Jabbok House zeigte, waberte ein dichter Nebel – durchaus nichts Ungewöhnliches zu dieser Jahreszeit.
    Welches Datum war heute? Langsam kehrte die Erinnerung zurück. Es musste April sein. Er lag seit Wochen krank im Bett. Jonathan griff hinter sich. Das Kopfkissen war nass geschwitzt. Aber er fühlte sich gar nicht krank! Im Gegenteil, er spürte eine Kraft in sich wie schon lange nicht mehr, vielleicht sogar wie nie zuvor. Wie konnte das sein?
    Dabei war sein Zustand immer bedenklicher geworden.Großvater hatte ein Heer von Ärzten nach Bridge of Balgie gerufen. Aber schließlich waren alle zu der gleichen Diagnose gekommen wie schon Professor Macleod zu Beginn: Der Patient wurde einfach schwächer, das Leben schien aus ihm herauszurinnen wie aus einem leckgeschlagenen Gefäß. Doch warum, das konnte keiner sagen.
    Lord Jabbok hatte Samuel Falter aus Loanhead kommen lassen. Er hoffte, der Hausdiener des Knabeninternats könne allein durch seine Gegenwart den Zustand des Sorgenkindes bessern. Tatsächlich bereitete das Wiedersehen mit dem langjährigen Freund Jonathan große Freude. Für einen Moment schien es, als blühe er regelrecht auf. Aber auch das erwies sich eher als ein kurzes Aufbäumen denn als dauerhafte Besserung.
    In den kommenden Wochen hatten alle, die Jonathan liebten, abwechselnd an seinem Bett gewacht und da es derer viele gab, wurde es in seinem Zimmer niemals einsam. Der alte Lord, Samuel Falter, der Lehrer, Mister Marshall, selbst der alte Hausdiener Alfred verweilten bei ihm, versuchten ihn aufzumuntern und zeigten einfach durch ihre Gegenwart, wie sehr sie um den »kleinen Prinzen« besorgt waren, wie der alte Samuel ihn noch immer nannte. Alles schien bis zu diesem Augenblick auf seinen Tod hinzudeuten. Umso befremdlicher, dass er jetzt ganz allein war.
    Jonathan lauschte angestrengt. Vor der Tür hörte er Stimmen. Ja, es schien sogar eine hitzige Diskussion im Gange zu sein.
    »Was heißt das, Sie können nichts mehr für ihn tun?«, dröhnte ein gut vernehmlicher Bariton, der fraglos dem Herrn von Jabbok House gehörte.
    »Es bedeutet genau das, was ich sagte, Euer Lordschaft.« Auch diese Stimme erkannte Jonathan, obwohl sie im Ansatz doch ungleich schwächer war. Zaghaft wie jemand, der eine äußerst unangenehme Nachricht zu übermitteln hat, versuchte der Arzt, Professor Macleod, dem alten Lord das beizubringen, was dieser nicht verstehen wollte. »Seht, wir haben wirklich alles versucht. Es ist gerade so, als wolle der Junge sich nicht helfen lassen. Lord Jabbok, so Leid es mir tut, aber ich kann Euch keine Hoffnung mehr machen. Allein wenn er diese Nacht überlebte, käme das schon einem Wunder gleich. Und eines könnt Ihr mir glauben: Ich wäre bestimmt der Letzte, der sich darüber nicht freuen würde.«
    »Ich glaube, wir müssen hinnehmen, was der Professor uns sagt, Euer Lordschaft.« Das war der gute Samuel, ohne Zweifel!
    Jetzt erinnerte sich Jonathan wieder. Viele Nächte hindurch hatten Großvater und Samuel gemeinsam an seinem Bett gewacht. Oft hatten sie stundenlang leise miteinander gesprochen. Wenn er ab und zu für kurze Zeit aus seinen merkwürdigen Träumen hochgeschreckt war, für einen kurzen Augenblick die Umgebung klar wahrnehmen konnte, dann fühlte er, wie diese beiden alten Männer sich immer fester aneinander zu klammern schienen. Ja, er glaubte sogar ein Band der Freundschaft zu entdecken, das sich um den ehrwürdigen Lord und den einfachen, aber weisen Hausdiener schlang, sich immer
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