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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack
Autoren: Christian Stoecker
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Nachmittage im örtlichen Quelle-Kaufhaus verbracht zu haben, um dort, unter den Augen des Personals, Raubkopien zu machen, eine nach der anderen. Weil die Kinder, die sich damals an den Geräten zu schaffen machten, längst viel versierter waren als jeder Fachverkäufer, war es für sie kein Problem, von einer mitgebrachten Diskette ein Kopierprogramm in den Speicher des Rechners zu laden und dann vom Kopierschutz befreite, »gecrackte« Spielversionen von einer Diskette auf die andere zu kopieren. Dazu mussten Vorlage und Leerdiskette immer wieder abwechselnd ins Laufwerk geschoben werden, außerdem ratterte und brummte die 1541 deutlich hörbar. Die Verkäufer begriffen aber entweder nicht, was da vor sich ging – oder es war ihnen egal.
    Ersteres ist wahrscheinlicher, denn die illegale Subkultur der Cracker und Kopierer, die sich innerhalb kürzester Zeit im Umfeld des C64 entwickelte, fand fast vollständig unter Ausschluss einer erwachsenen Öffentlichkeit statt. Weder Eltern noch Verkäufer konnten sich wirklich vorstellen, was diese elf-oder dreizehnjährigen Jungs da tatsächlich anstellten – und dass sie dabei manchmal an einem einzigen Nachmittag Spiele im Verkaufswert von mehreren 100 D-Mark kopierten.
    Als ich endlich meinen eigenen 64er hatte – der Preis war zu diesem Zeitpunkt schon drastisch gefallen –, war es selbstverständlich vorbei mit den Pilgerzügen in den Elektromarkt. Die Ecke zwischen Schrank und Heizung wurde zu meinem neuen Lieblingsplatz, zu einem Ort, an dem ich ständig Gäste empfing und endlose Nachmittage verbrachte. Wer einen 64er zu Hause hatte, konnte sicher sein, regelmäßig Besuch zu bekommen.
    Ich hatte meinen Eltern offenbar davon überzeugen können, dass ein eigener Computer immens wichtig für meine weitere Entwicklung sein würde. Eine Argumentation, die bis heute verfängt: In Deutschland ist der PC vermutlich nicht zuletzt deshalb eine so beliebte Spieleplattform, weil man Mama und Papa glaubhaft versichern kann, dass man einen Computer für die Hausaufgaben benötigt. Bei einer Spielkonsole zieht dieses Argument nicht – ein Atari-Telespiel hätten mir meine Eltern damals nicht geschenkt.
    Bei Commodore setzte man diese Argumentationslinie explizit als Teil des Marketings ein. Der Ingenieur Bob Yannes, der für den C64 den bis heute legendären Musikchip SID entwickelte, erinnert sich: »Ein Teil des Marketingprogramms von Commodore war, ›wollen Sie Ihrem Kind wirklich ein Computerspiel kaufen, das sein Hirn verkümmern lassen wird, oder einen Computer, mit dem man eben auch Videospiele spielen kann?‹ Das war eine erfolgreiche Kampagne.«
    Ich hatte meine Eltern offensichtlich auch davon überzeugt, dass dieser Computer nur dann wirklich sinnvoll eingesetzt werden konnte, wenn man dazu ein Diskettenlaufwerk besaß. Damit hatte ich mich gewissermaßen aus dem Stand in die Oberliga der 64er-Besitzer katapultiert. Tatsächlich wäre der Rechner ohne irgendeine Art von externem Speicher so gut wie nutzlos gewesen: Der Arbeitsspeicher leerte sich zwangsläufig vollständig, wenn man den Rechner ausschaltete. Programmieren oder irgendeine andere sinnvolle Beschäftigung wäre ohne zusätzliche Speichermöglichkeit eine immer wieder neu zu beginnende Sisyphus-Arbeit gewesen. Das leuchtete auch meinen Eltern ein.
    Die Alternative zur Floppy 1541 wäre eine sogenannte Datasette gewesen, im Prinzip nichts anderes als ein herkömmlicher Kassettenrekorder, der auf normale Audiokassetten Daten statt Töne aufzeichnen konnte. Die Datasette zeichnete sich einerseits dadurch aus, dass sie deutlich billiger war als das Diskettenlaufwerk, und andererseits dadurch, dass sie mit majestätischer Langsamkeit arbeitete. Hatte man die entsprechenden Befehle eingegeben, um ein Programm in den 64 Kilobyte kleinen Arbeitsspeicher des C64 zu laden, erschien auf dem Bildschirm die Anweisung »press play on tape« – Deutsch konnte der Commodore 64 nicht. Heute kann man T-Shirts, Umhängetaschen und Jacken mit dieser Aufschrift kaufen, und es gibt eine dänische Rockband, die »Press Play On Tape« heißt. Sie spielt ausschließlich Soundtrack-Stücke aus Spielen für den C64 nach. Die musikalischen Qualitäten des Rechners sicherten ihm eine weltweite, bis heute höchst aktive Fangemeinde.
    Nachdem man die Play-Taste gedrückt hatte, konnte man sich eine Fanta aus dem Kühlschrank holen, ein bisschen plaudern oder sich sonst irgendwie die Zeit vertreiben, denn das Laden eines Spiels
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