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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack
Autoren: Christian Stoecker
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Zeit verbracht hat, wuchs in dem Bewusstsein auf, dass das Ende jederzeit kommen konnte. Und dennoch, oder gerade deswegen, war die Welt nie wieder so einfach wie damals.
    * Damals zur Zeit von Ronald Reagan
als wir Satelliten ins All schossen
als Jungs schmale Lederschlipse trugen
wie Don Johnson in Miami Vice
     
Als Eminem (M&M) nur ein Snack war
als Michael Jacksons Haut noch schwarz war
als das Coolste überhaupt
ein Commodore 64 war
     
    Die Sowjets hatten mit ihren Panzern Afghanistan besetzt, das wussten auch wir Kinder, aus der Tagesschau. Der Westen hatte so viel Mitleid mit den unterdrückten muslimischen Traditionalisten im Land, dass er sie nach und nach mit Geld und Unterstützung zu der schlagkräftigen Terrorgruppe machte, die im dritten Jahrtausend den Ersatz für die Bedrohung aus dem kommunistischen Block abgeben würde. Das wussten wir natürlich noch nicht, nicht einmal die Erwachsenen begriffen das. Ein weltumspannender Konflikt auf einmal reicht ja auch.
    Es waren genügend Atomsprengköpfe vorhanden dies- und jenseits des Atlantiks, um den ganzen Planeten in eine verseuchte Wüste zu verwandeln, durchwandert von vom Krebs zerfressenen lebenden Toten, den letzten Resten der Menschheit. Das wussten wir aus »The Day After«.
    Dass diese Arsenale jederzeit abgefeuert werden könnten, von einem durchgedrehten Zentralcomputer etwa, das wussten wir aus »War Games«.
    Und wenn uns der atomare Holocaust erspart bleiben sollte, steuerten wir in jedem Fall auf eine Zukunft zu, in der die Flüsse vergiftet, die Wälder tot, die Luft verpestet und die Meere mit einem Ölteppich bedeckt sein würden. Das wussten wir von den Grünen.
    Die frühen Achtziger waren eine Zeit, in der die Apokalypse eine permanente, reale Möglichkeit war. Gleichzeitig und paradoxerweise herrschte damals die unbedingte Überzeugung, wenigstens in den Kinderzimmern der westdeutschen Mittelschicht, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten sein würde. Dass auch wir eines Tages all das Spielzeug aus den James-Bond-Filmen würden benutzen können (abgesehen von Maschinengewehren unter der Stoßstange vielleicht), dass es irgendwann, vermutlich in unserer Lebenszeit, fliegende Autos geben würde, Laserpistolen, Raumschiffe, die fernste Planeten ansteuern. Und, auch wenn dieser Gedanke so niemals ausformuliert wurde: dass Computer unser aller Leben verändern würden. Und sei es nur, indem sie uns einen ständigen, kostenlosen Strom immer besserer, immer ausgefeilterer Spiele bescherten. Von all den Versprechungen, die uns über die Zukunft immerfort gemacht wurden, waren Computer die einzigen, die es tatsächlich in unsere Kinderzimmer schafften.
    Sie schufen Möglichkeiten, die es bislang nicht gegeben hatte – einschließlich derer, mit rudimentären Programmierkenntnissen, die man am Heimcomputer erworben hatte, beinahe einen Atomkrieg auszulösen, wie Matthew Broderick das in »War Games« (1983) getan hatte – und die Welt dann selbstredend in letzter Minute zu retten.
    Heimcomputer und ihre auch für Kinder unter 14 wahrnehmbare rapide Entwicklung waren die real vorhandenen, berühr- und benutzbaren Vorboten einer sich immer schneller nähernden, verheißungsvollen Zukunft. Oder, wie es Thomas und Zini aus der Vorabend-Pflichtprogrammserie »Spaß am Dienstag« ausgedrückt hätten: Sie waren ein Vorgucker. Ein Vorgeschmack auf eine Welt, in der all das möglich sein würde, was bis dahin nur in Science-Fiction-Filmen vorkam.
    Die Geräte, die uns die Zukunft in die Kinderzimmer bringen sollten, sahen allerdings erst mal so gar nicht nach Science-Fiction aus: braun eingefärbte, geschrumpfte Schreibmaschinen, die an einen herkömmlichen Fernseher angeschlossen wurden und denen jeder Hauch von Futurismus vollständig abging. Von außen betrachtet. Denn futuristisch war, was sie konnten. Mehr als je ein Gerät aus der Sparte Unterhaltungselektronik zuvor nämlich. Musik machen, Bilder zeigen (auch solche pornografischer Natur, wie wir irgendwann lernten), eine Verbindung zur Welt herstellen, bei den Hausaufgaben helfen (was wir gern den Eltern gegenüber hervorhoben, wovon wir jedoch eher selten Gebrauch machten) und vor allem eines: Spiele bereitstellen. Immer wieder neue, immer bessere, komplexere, grafisch aufwändigere, spannende, herausfordernde, clevere, brutale, elegante, Gemeinschaft bildende Spiele. Und zwar in der Regel kostenlos.
    Die Vorstellung, dass ein einzelnes Gerät scheinbar unendliche Möglichkeiten
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