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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack
Autoren: Christian Stoecker
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konnte viele Minuten dauern, obwohl der 64-Kilobyte-Arbeisspeicher gerade einmal dieselbe Datenmenge fassen konnte, die heute ein kurzes Dokument aus einem Standard-Textverarbeitungsprogramm in Anspruch nimmt.
    Mit der Floppy 1541 ging das Laden deutlich flotter vonstatten – zumal es nach einer Weile sogenannte Schnellladeprogramme gab, die den Vorgang erheblich verkürzten. Ein gut organisierter C64-Besitzer hielt auf jeder Diskette mit raubkopierten Spielen einen Schnelllader vor. Der wurde dann in den Speicher gepackt, bevor man das eigentliche Spiel aufrief.
    Die Datasette hatte einen Vorteil, den die 1541 nicht bieten konnte. Weil die Daten auf den Magnetbändern nichts anderes waren als Klänge, konnte man sich Software anhören – was allerdings kein großes Vergnügen war. In Töne gegossene Software klingt in etwa so wie Modems in den neunziger Jahren: eine Kombination aus Fiepen, Rauschen und Rattern, wie eine Mischung aus zu schnell gespielter Zwölftonmusik und Schrottpresse. Umgekehrt war es jedoch auch möglich, ein leeres Band mit Tönen zu bespielen, die der Computer dann wiederum als Software erkannte. So kam es, dass das deutsche Fernsehen einige Jahre lang Computerprogramme ausstrahlte: Im legendären WDR Computerclub gab es am Ende der Sendung Bilder vom sich leerenden Studio und dazu Fiep- und Pfeifgeräusche zum Mitschneiden – in jeder Sendung wurde die akustische Version simpler Programme ausgestrahlt, die man zu Hause, Mikrofon am Fernsehlautsprecher, aufzeichnen konnte, um damit dann den eigenen Computer zu füttern.
    Diese Möglichkeit, an Programme zu kommen, die auch heute noch wie Science-Fiction anmutet, ging damals völlig an mir vorbei. Den WDR Computerclub habe ich nie gesehen (bis auf ein paar Ausschnitte, die man sich heute bei YouTube ansehen kann). Ich lebte in Nordbayern, und da gab es in den Achtzigern nur das dritte Programm des Bayerischen Fernsehens.
    Dafür hatte ich von Anfang an das Werkzeug zur Verfügung, das den C64 bis zum Ende seiner Produktkarriere im Jahr 1994 begleiten sollte. Ein Diskettenlaufwerk mit eigenem, eingebautem Computer. Ein mächtiges Werkzeug, das eine Subkultur hervorbrachte, deren Ausläufer bis heute spürbar sind: Die Raubkopiererszene der achtziger Jahre ist einerseits die Blaupause für all das, was heute nicht nur der Spiele-, sondern in viel größerem Maß der Musik- und Filmbranche Kopfzerbrechen und schmerzliche Einbußen bereitet. Mit der 1541 und dem C64 zog die verlustfreie Digitalkopie in deutsche Kinderzimmer ein, das Gefühl, mit geringem Aufwand umsonst an modernste, aktuellste Produkte einer internationalen High-techbranche herankommen zu können.
    Andererseits bildeten die Cracker und Kopierer auch die Keimzelle einer bis heute einflussreichen und immer noch höchst aktiven Computerkunstbewegung: die sogenannte Demoscene, die in winzigen Dateien riesige computeranimierte Kunstwerke versteckt, deren Programmier- und Gestaltungskünste bis heute auch internationalen Branchengrößen uneingeschränkte Bewunderung abringen.

Kapitel 2
     

Kopierer und Künstler
     
    Am 10. Januar 1984 verkündete Commodore bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas Rekordergebnisse. Das Unternehmen hatte im Vorjahr drei Millionen Computer verkauft und über eine Milliarde Dollar umgesetzt. Der Marktanteil des C64 allein war fast dreimal so groß wie der des Apple II. Drei Tage später gab es im Konzernvorstand Krach. Noch vor dem Ende der Sitzung verließ Jack Tramiel, Gründer, Chefcholeriker und Gallionsfigur des Unternehmens, den Raum und kehrte nie zurück. Der Vater des erfolgreichsten Heimcomputers aller Zeiten wurde aus seinem eigenen Unternehmen geworfen. Zwölf Jahre später lief in den USA die große TV-Dokumentation »Triumph of the Nerds« über die Geschichte der PC-Industrie. Darin werden die Apple-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak als Erfinder und Gründer der gesamten Branche dargestellt. Commodore und Tramiel werden nicht einmal erwähnt.
     
    Das erste Spiel, das mir mein C64 bescherte, war »Frogger«. Es war auf einer dem Floppy-Laufwerk zur Demonstration beiligenden Diskette zu finden. Es verlangte, einen aus grünen Pixelklötzchen zusammengesetzten Frosch zuerst einen Fluss und dann eine stark befahrene Straße überqueren zu lassen, ohne dass er versank oder platt gewalzt wurde. Das machte zwar eine Zeitlang Spaß – dann aber musste Nachschub her. Meine Eltern um Spiele für den eben erst für vergleichsweise
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