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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim
Autoren: Gesa Schwartz
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Arme zurück, packte ihn an der Kehle und schleuderte ihn die Gasse hinab. Er krachte gegen die Hauswand, fiel leblos zu Boden und konnte nur unter Schmerzen Atem holen. Gerade noch rechtzeitig sah er den Feuerwirbel, der auf ihn zuraste, und konnte sich hinter einem Schutzzauber verbergen. Knisternd glitten die Flammen an seinem Schild ab und erloschen. Sie hatten den Asphalt zu beiden Seiten der Gasse in Brand gesetzt, und hinter dem versagenden Zittern seines Zaubers sah Yrphramar seinen Feind kommen, die brennende Straße unter seinen Füßen. Er fühlte, wie der Boden unter Bhroroks Schritten zitterte, spürte, wie er gepackt und an der Kehle in der Luft gehalten wurde. Ein winziger schwarzer Punkt hatte sich in Bhroroks Augen gebildet, nadelfein, als hätte er alle Grausamkeit der Welt auf einem einzigen Fleck versammelt. Yrphramar stieß seine rechte Hand in Bhroroks Schulter, seine Finger gruben sich in faulendes Fleisch, und dieses Mal zuckte etwas wie Schmerz über das kalkweiße Gesicht. Dann öffnete Bhrorok den Mund.
    »Wo finde ich Obolus?«
    Yrphramar brauchte eine Weile, bis er verstand, dass Bhrorok nur das Restaurant meinen konnte, das Restaurant einige Straßen weiter. Es fiel ihm nicht leicht, Atem zu holen, irgendetwas steckte in seiner Lunge. Dennoch stieß er die Luft aus, so verächtlich es ihm möglich war.
    »Deswegen bist du gekommen?«, keuchte er, während er seinen Herzschlag in den Schläfen fühlte. »Du, Kreatur der Finsternis, Diener der Schatten, fragst mich nach dem Weg?« Er wollte lachen, aber die Klaue um seinen Hals drückte zu. »Wieso«, presste er hervor, »wieso willst du das wissen?«
    Da glitt etwas über Bhroroks Gesicht, das ein Lächeln hätte sein können, wäre es nicht so grausam gewesen. »Der Junge«, raunte er. »Ich suche den Jungen.«
    Yrphramars Augen wurden schmal. Ein Schmerz wie von einem Messerhieb zog durch seine Brust. Er hatte sich also nicht geirrt. Die Schatten umdrängten das Licht, sie gierten mit ihren tödlichen Schleiern nach ihm, und sie würden es mit sich reißen und die Welt in den Abgrund stürzen, wenn es nicht stark genug war. Schon spürte er die Finsternis, die aus Bhroroks Innerem loderte, und er hörte dessen Stimme wie im Traum.
    »Folge den Schatten«, raunte Bhrorok kaum hörbar. »Folge ihnen und lebe – oder stirb.«
    Noch einmal spürte Yrphramar die Versuchung, dem Ruf aus der Dunkelheit zu folgen und jeden Kampf, jede Zerrissenheit für alle Zeit zu vergessen. Doch die Musik in ihm war stark. Donnernd brandete sie auf und trieb das Bild eines jungen Mannes in seinen Geist. Er schaute in ein Gesicht mit blauen, unruhigen Augen, und er spürte einen Schauer der Freundschaft und Zuneigung, der ihn mit ungeahnter Macht durchströmte. Doch ehe der Junge auf seine zaghafte Weise lächelte, drängte Yrphramar sein Bild zurück und mit ihm den Schreck, der mit tödlichen Klauen nach ihm greifen wollte. In rasender Geschwindigkeit zogen die Gedanken durch seinen Sinn, er hatte viele Möglichkeiten – und keine.
    Die Kälte hatte seine Finger taub gemacht, sie steckten leblos in Bhroroks Körper. Niemals. Sein Kiefer knackte, als er den Mund öffnete, und seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. »Armselige Kreatur«, brachte er dennoch hervor und sah das Nichts in Bhroroks Blick wie eine Wolke aus Gift auf sich zurasen. »Ich werde meinen festen Stand nicht verlieren wegen eines Sklaven wie dir. Scher dich zurück in die Schatten, die dich erschaffen haben!«
    Mit letzter Kraft stieß er den Kopf vor. Er hörte, wie Bhroroks Nase brach. Keuchend landete Yrphramar auf dem Boden, seine Finger fanden seine Geige und augenblicklich durchströmte ihn ein Gefühl, das jede Kälte vertrieb. Er strich über die Saiten, und eine Melodie erklang, die sich mit seiner inneren Musik vermischte und für einen Moment wie ein Riss durch den Regen ging. Dann wurde der Ton durchbrochen von einem Laut, der so schrecklich war, dass Yrphramar erschrocken wäre, wenn er ihn nicht schon einmal gehört hätte.
    Bhrorok schrie.
    Er hockte am Boden, die Hände so tief in sein Gesicht gekrallt, dass blutige Striemen über seine bislang unverwundete Wange liefen, und schrie aus Leibeskräften mit all den Stimmen jener, die er verschlungen hatte. Yrphramar schloss die Augen, er ertrug dieses Bild nicht, und er zog den Bogen über die Saiten, schneller und schneller, bis die Melodie in einem fulminanten Feuerwerk die Fenster der verlassenen Häuser bersten und die
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