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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim
Autoren: Gesa Schwartz
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Regentropfen wie tausend winzige Sonnen zerspringen ließ. Ein zarter Ton hing in der Luft, als Yrphramar sein Lied beendete. Er zitterte, als er die Augen öffnete. Da lag Bhrorok, zusammengesunken auf dem Bretterstapel, wo er ihn begrüßt hatte. Sein Köter war verschwunden.
    Schwer atmend ging Yrphramar auf Bhrorok zu. Er murmelte den Zauber, als er hinter sich ein Keuchen hörte. Er fuhr herum. Hinter ihm saß der Wolf. Und noch ehe Yrphramar den Blick gewandt hatte, wusste er, dass er verloren hatte.
    »Narr«, hörte er Bhroroks Stimme.
    Im nächsten Moment fühlte Yrphramar, wie eine kalt glühende Faust seinen Brustkorb durchstieß. Mit letzter Kraft riss er seine Geige in die Luft und schmetterte sie Bhrorok ins Gesicht. Das Holz zersplitterte, als wäre es gesprengt worden, und feiner silberner Staub rieselte durch die Luft. Zischend landete er auf Bhroroks Haut, brannte sich in weißes Fleisch und traf selbst den Wolf, der jaulend zurücksprang. Schwarze Krater bildeten sich dort, wo die Staubkörner Bhroroks Gesicht berührten. Schmerz flammte über seine Züge, doch in seinen Augen stand nur Verachtung.
    Die Kälte in Yrphramar wurde unerträglich, aber er spürte keine Schmerzen. Er fühlte nur die Dunkelheit, die lauernd auf ihn wartete, und sah die zarten Umrisse eines goldenen Schmetterlings, der sich aus den Überresten seiner Geige in den Nachthimmel schwang und davonflog.
    Für einen Moment starrte Bhrorok ihn an, etwas wie Erstaunen spiegelte sich auf dem kalkweißen Gesicht. Dann zog er Yrphramar dicht vor seinen Mund. Eine klebrige schwarze Zunge leckte über mehlige Haut, und aus seinem Mund krochen Maden, dicke schwarze Käfer und zuckende Würmer.
    Yrphramar wollte schreien, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Das Ungeziefer sprang auf sein Gesicht, er fühlte scharfe Beine wie Rasierklingen auf seiner Haut. Blut lief ihm über das rechte Auge, etwas riss Fleisch aus seiner Wange. Immer mehr Käfer hüllten ihn ein, bis er nichts mehr sah und hörte als das feuchte Knistern ihrer schwarzen Leiber.
    Da fühlte er, wie sein Kiefer sich öffnete, er konnte nichts dagegen tun, und die Käfer glitten über seine Lippen und seine Kehle hinab. Ich sterbe , dachte er erschrocken, und gleichzeitig spürte er etwas in seinen Händen, es war der hölzerne Griff seiner Geige. Sanft strich er in Gedanken mit dem Bogen über die Saiten, er spielte auf, ein letztes Mal. Dann durchzog ihn der Schmerz von tausend fressenden Mäulern, und alles wurde schwarz.
    Bhrorok wartete, bis seine Schergen ihr Werk beendet hatten. Mit einem einzigen Atemzug kehrten sie zu ihrem Herrn zurück und verschwanden in seinem fahlen Körper. Langsam wischte er sich den Mund wie nach einem gelungenen Mahl. Dann ließ er sein Opfer fallen. Lautlos sank Yrphramar auf den Asphalt.
    Bhrorok stieg über ihn hinweg. Ein Lächeln lag auf seinem lippenlosen Mund, als er am Ende der Gasse stehen blieb. Der Wolf riss den Kopf in den Nacken, er witterte. Bhrorok warf einen Blick zurück zu dem leblosen Körper.
    »Narr«, sagte er noch einmal.
    Dann wandte er sich um und verschwand in der Nacht.

2
    Für einen Augenblick wusste er nicht, wer er war. Er hätte alles sein können: Mensch oder Tier, Engel oder Teufel, oder einer der Regentropfen, die in silbernen Schnüren an der Scheibe des Restaurants herunterliefen und wie tausend winzige Augen daran hängen blieben.
    »Nando Baldini! Träumst du?«
    Mit einem Schlag war er wieder wach. Er fühlte den Wischlappen wie einen nassen Zwieback zwischen seinen Fingern, hörte das Wasser, das prasselnd in den Eimer lief, und schaute in das Gesicht seines Chefs. Signor Bovino reichte Nando gerade einmal bis zur Brust, hatte aber die Angewohnheit, den Kopf in den Nacken zu werfen und in vollendeter Herablassung auf die Welt zu blicken, als würde er jeden um mindestens zwei Köpfe überragen.
    »Du sollst arbeiten, hörst du?«, rief er und riss die ein wenig zu kurz geratenen Arme in die Luft. »Ich bezahle dich nicht, damit du aus dem Fenster glotzt! Und was machst du da überhaupt?« Er deutete auf den Wischeimer, als hätte er ihn noch nie gesehen, und stellte das Wasser ab. »Halb voll ist genug, verstanden? Du sollst aus dem Obolus kein Schwimmbad machen, sondern den Boden wischen, Herrgott noch eins!«
    Nando hob die Schultern. »Ich dachte … «, begann er, aber Signor Bovino wischte seine Bemerkung mit einem Gesichtsausdruck beiseite, als hätte ihn etwas Klebriges
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