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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim
Autoren: Gesa Schwartz
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angesprungen.
    »Du denkst!«, rief er, während er sich ein leuchtend gelbes Regencape überzog. »Das überlässt du besser mir. Vergiss nicht, die Abrechnung zu machen, räum das Lager auf, und wehe, du wischst wieder ohne den Spezialreiniger!«
    Nando sah zu, wie Signor Bovino sich die Kapuze so fest um sein rundes Gesicht zog, dass seine Wangen zusammengepresst wurden. Es hätte nur der Leuchtreflektor in Katzenform gefehlt, und aus Signor Bovino wäre ein ziemlich fetter Grundschüler geworden, zumindest auf den ersten Blick.
    »Ich dachte, dass ich das Lager morgen machen könnte«, sagte Nando und fühlte sich umgehend von einem vernichtenden Blick getroffen. »Ich habe doch heute Geburtstag, verstehen Sie, und meine Tante … «
    Signor Bovino schnaubte, als gäbe es nichts Unwichtigeres auf der Welt. »Deine Privatvergnügungen interessieren mich nicht. Das Lager wird heute gemacht, dass das klar ist. Musst dich eben beeilen und weniger vor dich hin träumen.«
    Nando presste die Zähne zusammen. Abgesehen davon, dass er sich ohnehin Schöneres vorstellen konnte, als an seinem Geburtstag Überstunden einzulegen, bemühte sich seine Tante Mara seit Tagen darum, das geplante Festessen vor ihm geheim zu halten. Seine Mutter war Köchin gewesen, regelmäßig hatte sie zu seinem Geburtstag ein mehrgängiges Menü zusammengestellt, und sein Vater hatte ihm einen Kuchen gebacken, gespickt mit Kerzen und überzogen mit leuchtend rotem Zuckerguss. Seine Eltern hatten nicht viel Geld gehabt, aber bei dem gemeinsamen Essen hatten sie nie gespart und waren stets bemüht gewesen, Nandos Geburtstag so zu gestalten, als wäre ihr Sohn ein Prinz, der nur aus Versehen bei armen Leuten gelandet war. Seit seiner Geburt hatten sie das getan – bis zu jener Nacht vor neun Jahren, da sie ihn verlassen hatten. Mara war die Schwester seiner Mutter, und obgleich sie keinerlei Talent für die Zubereitung jedweder Mahlzeiten hatte, weigerte sie sich standhaft, diese Tradition aufzugeben. Sie war eine Künstlerin, eine Malerin allererster Güte, die ihre Küche für gewöhnlich nur nutzte, um darin zu rauchen und wie ein Kutscher über die Politik der Regierung zu fluchen. Dennoch war Nando sich ziemlich sicher, dass sie neben dem Festessen entgegen ihrer Gewohnheit und Fähigkeit einen Geburtstagskuchen fabrizieren würde. Er sah sie vor sich, wie sie mit mehlverkrusteten Händen in der Küche stand und in Rezepten wühlte, um ihm eine Freude zu machen, stellte sich vor, wie sie ihre langen schwarzen Locken mit einem Kochlöffel zusammengedreht hatte, und bemerkte sie genau, die steile Falte zwischen ihren Brauen, als ihr zum dritten Mal die Eierschale mitsamt Inhalt in die Schüssel gefallen war. Unerschütterlich trat sie jedes Jahr aufs Neue in den Kampf mit Kochlöffeln, Rezepten und zerbrechlichen Suppenterrinen, um das Andenken ihrer Schwester in Ehren zu halten und Nando eine Freude zu machen, und es fiel ihm schwer, angesichts der Worte seines Chefs ruhig zu bleiben. Er holte tief Atem. Er hätte wissen müssen, dass Signor Bovino so reagieren würde. Es war immer dasselbe.
    An der Tür wandte sein Chef sich noch einmal um. »Und lass die Penner draußen, hörst du! Ich bin kein Almosenverein.«
    Damit riss er die Tür so stürmisch auf, dass die Messingglöckchen darüber hektisch anfingen zu bimmeln, ließ sie offen stehen und lief hinaus in die Nacht. Eisiger Wind schleuderte Regentropfen ins Restaurant. Schnell schloss Nando die Tür, sah seinen Chef im Regen verschwinden und betrachtete sein Spiegelbild in der Scheibe. Seine dunklen, halb langen Haare hingen ihm in die Stirn, unbändig standen sie zu beiden Seiten von seinem Kopf ab und erinnerten ihn an seinen Vater, der zeit seines Lebens eine ähnliche Unfrisur getragen hatte. Seine Augen hingegen blickten in demselben unruhigen Blau, das auch in den Augen seiner Mutter gelegen hatte. Ein Brennen durchzog seinen linken Arm, der von den Fingern bis hinauf zur Schulter mit Brand- und Schnittnarben übersät war. Seit jener Nacht vor neun Jahren waren mehrere Nerven irreparabel geschädigt und die Funktionen seiner Hand zeitweise stark eingeschränkt. Taubheitsgefühle und Greifschwächen traten häufig auf, ohne dass er es beeinflussen konnte. Er hatte sich an diese Behinderung gewöhnt, aber besonders an Tagen wie diesem erinnerte sie ihn mit wortloser Grausamkeit an die Ereignisse von damals.
    Er holte tief Luft, doch seine Eltern fehlten ihm so sehr, dass ihm das
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