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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Minajew
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verlobt, obwohl das ganz und gar nicht den Tatsachen entspricht. Endlich kommt der Hauptgang, und wir verstummen, ergriffen vom Anblick der Speisen…Oder von den Gedanken an die Zukunft.
    Lena isst Krabbenbeine, ich Spaghetti mit Krabbenfleisch und Tomatensoße (eine etwas seltsame Mischung, aber recht schmackhaft). Als Vorspeise hatte Lena ein Tartar vom Thunfisch, ich Sashimi vom Lachs mit Kressesalat. Das Ganze wird begleitet von einem Vermentino Bolgheri von Antinori. Danach gibt es Kaffee. Auf Dessert werden wir wohl verzichten.
    Ich erzähle das alles nicht in der Absicht, Ihnen zu demonstrieren, wie gut wir uns in gastronomischen Belangen auskennen, sondern einfach, damit Sie verstehen, wer wir sind: die neue Klasse der jungen urbanen Profis, also Yuppies, wenn Sie so wollen, die es sich leisten können, dreihundert Dollar hinzulegen für ein Abendessen zu zweit im Solotoj auf dem Kutusow-Prospekt in der Heldenstadt Moskau.
    » Ich wollte dir noch etwas sagen«, meint Lena und versucht, das Krabbenfleisch mit der Gabel aus dem Panzer zu ziehen. » Ein Bekannter von mir hat mich angesprochen, er ist Marketingdirektor bei einer Gesellschaft, die Kosmetik herstellt. Sie haben da gerade eine neue Produktlinie entwickelt…«
    » Und du schlägst mir vor, to test it?«, frage ich grinsend, während ich in meinen Spaghetti stochere.
    » Nein, du Dussel. Er soll eine Publikation in deinem Magazin unterbringen!« Endlich hat sie ihr Krabbenfleisch herausgeklaubt.
    » Unterbringen? Heißt nochmal was?« Ich schnipse mit den Fingern. » So etwas wie faken, ja? Du fragst mich, ob ich dabei behilflich sein kann, einen gefakten Artikel bei meiner Zeitung unterzubringen?«
    » Nicht böse sein!« Lena schmollt. » Kannst du ihm nicht helfen? Es ist ein sehr guter Bekannter von mir, und er zahlt sehr gut.«
    » Ist er dein Ex-Boyfriend?«, frage ich. Die Sache amüsiert mich.
    » Wenn du nicht willst, sag es einfach.« Lena meidet meinen Blick.
    » Okay, okay!« Ich berühre versöhnlich ihr Handgelenk. » Kein Problem. Gib mir seine Telefonnummer, mir wird schon was einfallen.«
    Um unseren kleinen Konflikt zu entschärfen, unternehme ich einen Gang auf die Toilette, obwohl es nicht nötig wäre. Ich schließe mich in einer Kabine ein, setze mich auf die Schüssel und zünde mir eine Zigarette an. Nicht dass Lena etwas dagegen hätte, wenn ich in ihrer Gegenwart rauche, aber ich möchte jetzt einfach mal ein paar Minuten allein sein. Ich rauche ganz in Ruhe zu Ende, stehe auf, gehe zum Waschbecken, drehe das Wasser auf und schaue in den Spiegel. Schwarze Haare, markante Gesichtszüge, schön geschnittene Lippen, unter den Augen kaum merkliche Ringe. Ich sehe so aus, wie ein erfolgreicher Vertreter des mittleren Managements aussehen soll. Ich trage einen grauen, blassrosa gestreiften Anzug von Canali, ein uni-rosafarbenes Hemd mit Manschettenknöpfen, beides von Pal Zileri, und dazu braune Schuhe, ebenfalls von Zileri (die Schuhe sind im Spiegel nicht zu sehen). Eine Uhr trage ich nicht, ich ziehe es vor, die Uhrzeit auf meinem Nokia 8800 (Kostenpunkt: tausend Dollar) abzulesen. Meine Lieblingszahnpasta ist Lacalut, und ich kann sehr unangenehm werden, wenn ich diese im Badezimmer eines von mir frequentierten Hotels nicht vorfinde. Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt. Ich habe noch nie in meinem Leben Fertiggerichte von Rollton gegessen…
    Eine Stunde später sind wir in Lenas Wohnung in Perowo. Schon halb entkleidet, aber noch im Wohnzimmer, zeige ich ihr die aktuelle Ausgabe des Kommersant, die ich aus dem Restaurant mitgenommen habe. Gleich auf der ersten Seite wird berichtet, dass der größte Retailer der Welt, der amerikanische Wal-Mart-Konzern, der vor zwei Jahren eine erste Niederlassung in Russland gegründet hat, die Übernahme von fünf Hypermarkets in Moskau bekanntgegeben habe.
    » Na, was habe ich dir eben über unsere glänzende Karriere erzählt, Honey?« Ich werfe ihr die Zeitung zu. » Look!«
    Lena überfliegt den Text mit den Augen und strahlt:
    » Sag mal, ist das jetzt Zufall, oder was? Gib zu, du hast schon heute Vormittag im Büro davon erfahren!«
    » Zufall, Honey, reiner Zufall!«
    » Wie machst du das bloß?«, quietscht Lena und fällt mir um den Hals.
    » Es kommt immer darauf an, wie man sich positioniert. Ich meine…« Weiter komme ich nicht, weil Lena mich ins Bett zerrt.
    Zehn Minuten später sitzt sie auf mir drauf und bewegt sich rhythmisch. Den roten BH hat sie anbehalten. Ist heute
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