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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Minajew
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Erschließungsstadium befindlich). Ihre gegenwärtige Wohnung in Perowo hat sie streng nach den Regeln des Feng-Shui eingerichtet, in einem chinesischen Stil Marke Eigenbau (also hauptsächlich IKEA , aufgepeppt mit ein paar teuren Lampen und einem Sammelsurium von exotischem Klimbim, oder, mit ihren Worten, » Accessoires«, die sie von diversen Auslandsreisen mitgebracht hat). Nach außen hin gibt sie sich als großer Fan von minimalistischem Design, aber das halte ich für ein Märchen; jedenfalls habe ich kürzlich erst wieder in ihrem Schlafzimmerschrank rosa Plüschhäschen und Herzkissen gesehen. Lena ist nicht verheiratet und nicht mit Kindern belastet, konzentriert seit fünf Jahren ihre ganze Kraft auf ihre Karriere als Buchprüferin, ich glaube, entweder bei Pricewaterhouse oder bei Deloitte oder vielleicht auch irgendwo anders, ich kann mir das nie merken. Mit ihren dreißig Jahren hat sie den Posten einer stellvertretenden Abteilungsleiterin und verdient viertausend Dollar im Monat. Ihr liegt wahnsinnig viel daran, für eine waschechte europäische Businessfrau durchzugehen, deshalb zahlt sie ihren Teil an der Restaurantrechnung grundsätzlich mit einer goldenen AmEx. Aus demselben Grund, nehme ich an, spickt sie ihre Rede mit Anglizismen. » Das Problem ist total overestimated«, sagt sie zum Beispiel zu ihrer Freundin, die von ihrem Lover sitzengelassen wurde. Lena fährt einen Mazda 6– auf Kredit gekauft. Aber das versteht sich wohl von selbst.
    » Irgendwie kompliziert alles«, sage ich wieder und stelle das Glas zurück auf den Tisch, ohne getrunken zu haben.
    Lena wendet sich ab. Mir scheint, dass ihre Augen feucht geworden sind. Oder ist das nur ein Effekt der künstlichen Beleuchtung? Eine Weile sitzen wir da, ohne etwas zu sagen. Ich frage mich, woran sie gerade denkt. Vielleicht daran, wie schwer das Leben in Russland für einen Menschen ist, dessen innere Welt zwischen dem traditionellen amerikanischen Pragmatismus und der berüchtigten russischen Seele zerrieben wird? Oder daran, wohin sich unsere Beziehung in weiterer Zukunft entwickeln wird? Das Thema könnte zum Beispiel lauten: Kann eine hinreißend schöne Frau namens Helena aus einem halben Ami einen ganzen Russen machen– zurück zu den Wurzeln und so weiter? Manchmal legt sich ein Schatten über Lenas Gesicht, und auf ihrer Stirn erscheinen tiefe Falten, ein deutliches Zeichen dafür, dass in ihrem Inneren ein heftiger Kampf tobt; oder ein angestrengter Denkprozess abläuft; oder beides gleichzeitig. Sie streichelt immer noch mein Handgelenk.
    » Hör zu«, sagt Lena und dreht sich wieder zu mir um. » Ich komme mit. Ich kann ohne dich nicht leben.« In ihren grünen Augen sind jetzt keine Tränen mehr zu sehen, dafür lese ich in ihrem typisch russischen Gesicht mit den hohen Wangenknochen eiserne Entschlossenheit. Sie schiebt wieder ihr Armband zurecht, dann legt sie den Kopf ein wenig in den Nacken und greift sich mit beiden Händen in die langen blonden Haare. (Ich verstehe absolut nicht, warum sie sie so hell bleicht. In Wirklichkeit ist sie dunkelblond, nehme ich an.) In den Winkeln ihrer schwellenden Lippen erscheint ein Lächeln. » Wir gehen zusammen nach Amerika. Du und ich. Und bis dahin legen wir eine glänzende Karriere hin. Du steigst als Manager bei Wal-Mart auf, und ich arbeite weiter für die Bank of New York, die Citibank oder JPM organ Chase… Und unsere Kinder werden richtige Amerikaner. Im schlimmsten Fall kann uns ja dein Vater unterstützen. Ich meine, nur im Notfall…«
    Ihr Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass diese Frage längst entschieden ist. Dabei war in den ganzen sechs Monaten, die wir uns jetzt kennen, nicht einmal die Rede davon, zusammen nach Amerika zu gehen. Kein einziges Mal. Ich muss also wohl davon ausgehen, dass sie ernste Absichten hat. Und vor allem: Sie scheint alles genauestens geplant zu haben. Um meinen Ärger zu verbergen, stimme ich wieder zu, nicke versonnen und sage:
    » Karriere machen wir viel früher, Honey. Die Unterstützung meines Vaters wird also nicht erforderlich sein. Außerdem mag ich es nicht, jemanden um Hilfe zu bitten. I hate it, you know!« Mit einem smarten Lächeln richte ich meinen linken Manschettenknopf (von Paul Smith). Lena lächelt glücklich zurück. Wir stoßen an, trinken unseren Wein. Unsere Lippen nähern sich. Wir küssen uns. Lenas Augen funkeln. Wir küssen uns noch einmal. Von weitem sieht es vielleicht so aus, als hätten wir uns gerade
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