Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 03 - Alptraumzeit

Nemesis 03 - Alptraumzeit

Titel: Nemesis 03 - Alptraumzeit
Autoren:
Vom Netzwerk:
wie ein Grabträger. Das war mir selbst gegenüber nicht gerecht, denn ich tat nichts, was nicht jeder andere an meiner Stelle ebenfalls tun würde. Dennoch hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen, als wir Stefans Leiche schließlich, unter angestrengtem Schnaufen und Keuchen, so weit wie möglich entfernt von Küche, Ausgang und dem Weg zwischen beidem ablegten.
    Das Messer ließen wir in der Wunde stecken und legten die Leiche bäuchlings auf den Boden. Ellen hätte nicht erst darauf hinweisen müssen, dass wir gut daran taten, der Kriminalpolizei so viele Spuren zu hinterlassen wie möglich, und dass es durchaus sein konnte, dass der Täter dumm genug gewesen war, seine Fingerabdrücke auf dem Napola-Dolch zu hinterlassen. Selbst wenn es irgendeinen Grund gegeben hätte, das Nazirelikt zu berühren, hätte sich niemand von uns getraut. Wer wollte schließlich seine eigenen Fingerabdrücke auf einer Mordwaffe wissen? Und wer wollte nicht nur so schnell wie möglich einfach nur weg von hier, zurück in die Küche, raus aus dem Gebäude oder im Idealfall auf schnellstem Wege nach Hause? Ellens Befehlston hinderte niemanden daran, etwas Falsches zu tun, weil sowieso niemand ein Interesse an solcherlei Unsinn hatte. Aber er verlieh ihr unübersehbar das Gefühl, die Fäden in der Hand zu haben, das Geschehen um sie herum zu lenken und zu kontrollieren. Nach ihrem Zusammenbruch vor kaum mehr als zwanzig Minuten wäre ich der Letzte, der ihr diese Einbildung wieder ausreden würde, im Gegenteil: Wenn es unbedingt sein musste, um die Arroganz, die sie vor dem Blick hinter ihre eigene Fassade schützte, aufrechtzuerhalten, würde ich bellen und Stöckchen apportieren. Wenn ich ihr überhaupt etwas zu sagen hatte, dann konnte ich das tun, sobald wir diesen Alptraum hinter uns gelassen hatten. Von mir aus sollte der Wahnsinn, der eben für einen kurzen, aber eindrucksvollen Moment aus ihren Augen gefunkelt hatte, von ihr Besitz ergreifen, und meinetwegen sollte sie sich selbst als Patientin in der Klinik, in der sie arbeitete, wiederfinden – auf einer Station, in der man sie professionell mit der Existenz ihrer eigenen Psyche vertraut machen würde. Aber nicht hier und jetzt. Ellen war von uns allen vielleicht der labilste Charakter, weil sie ihr eigenes, wahres Wesen nicht kannte, sondern nur die erfolgreiche junge Ärztin, die ihren Namen trug und nie etwas anderes tat, dachte oder sogar fühlte, als sie es von ihr erwartete. Ellen spielte sich selbst, das machte sie gefährlich. Einen Moment lang fragte ich mich mit einem unpassenden Anflug von Stolz über mein neu entdecktes psychologisches Talent – obwohl ich bislang selbst der größte Kritiker aller Hobbypsychologen und -therapeuten gewesen war – nun doch, ob es nicht etwa sein konnte, dass Ellen schon einmal die Fassung verloren hatte, ohne dass wir es bemerkt hatten. Vielleicht war sie es ja gewesen, die, aus welchen Gründen auch immer, über Stefan hergefallen war und dann nicht an der allgemeinen Schwäche ihres Charakters, sondern speziell an ihrem Gewissen verzweifelt und durchgedreht war.
    Ich ermahnte mich insgeheim, mich nicht schon wieder in Spekulationen zu verirren und umgehend wieder von dieser für mich selbst ganz untypischen Denkweise zwischen Pseudophilosophie und -psychologie abzulassen. Ich entwickelte mich langsam ausgerechnet zu der Sorte Mensch, der ich im Alltag weiträumig aus dem Weg ging. Außerdem gab es hier niemanden, der mir vertraute, also musste ich mir selbst treu bleiben.
    Auf halbem Wege zur Küche hielt ich noch einmal inne und blickte zu Stefans Leiche zurück. Ihn durch meine eigenen Hände wie einen Tierkadaver an einer möglichst unauffälligen Stelle deponiert zu sehen kratzte unangenehm an meinem Selbstrespekt. Ich erinnerte mich daran, so etwas wie einen Regenmantel, wenn ich Glück hatte, eine kleine Plane, zusammengeknüllt auf der Ladefläche von Carls Landrover gesehen zu haben. Ich beschloss, sie zu holen, und während ich das Haupthaus verließ und in der Dunkelheit auf den Torweg zusteuerte, redete ich mir ein, dass ich das tat, um einfach noch irgendetwas, ganz egal wie Unsinniges, für Stefan zu tun, und nicht etwa, weil ich auf einen Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Effekt hoffte, wenn ich seinen toten Körper bestmöglich damit verdeckte.

Ich hatte mich nicht getäuscht: Tatsächlich musste ich nicht lange suchen, bis ich das gefunden hatte, was ich – zusammengerollt, wie es war, und außerdem im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher