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Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht

Titel: Nemesis 01 - Die Zeit vor Mitternacht
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hatte es in dem Brief geheißen, in dem die letzten Instruktionen standen. Maria Grauemaus schien demnach über eine mächtig große Persönlichkeit zu verfügen.
    Ich wollte etwas sagen, aber Ed war schneller. Er sprang auf, eilte um den Tisch herum und streckte Maria die rechte Hand entgegen; mit der anderen nahm er ihr den schweren Koffer ab, allerdings nur, um ihn fast augenblicklich wieder zu Boden zu setzen und loszulassen.
    »Du bist also Maria. Wir haben schon auf dich gewartet.«
    Er stellte nacheinander mich, sich selbst und die anderen vor (übrigens präzise mit den gleichen Worten, die er vorhin benutzt hatte; es klang noch immer salopp, aber nun auch eindeutig auswendig gelernt — was ihm bei mir ein paar weitere Minuspunkte einbrachte) und schnitt ihr mit einer wedelnden Geste das Wort ab, bevor sie auch nur versuchen konnte, es selbst zu ergreifen.
    »Ich weiß, du platzt vor Neugier und dem Wunsch, uns alle besser kennen zu lernen und in dein großes Herz zu schließen, Liebling, aber das muss noch einen Moment warten. Wir haben eine Audienz beim König und wir wollen ihn doch nicht warten lassen, oder?«
    Das war zu viel. Auf Marias Gesicht zeigte sich vollkommenes Unverständnis und ich drehte mich mit einer raschen Bewegung herum und steuerte die Schiebetür an.
    Eds Art begann mir bereits jetzt auf die Nerven zu gehen und dabei kannte ich ihn erst seit ein paar Minuten. Und mit diesem Typ musste ich demnächst meine Zeit verbringen?
    Das konnte ja noch heiter werden!
    Ich war der Schiebetür am nächsten, und das war der einzige Grund, aus dem ich sie als Erster erreichte und weit genug aufschob, um hindurchzutreten.
    Der Raum auf der anderen Seite sah genau so aus, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer. Es muss einen besonderen Ausbildungszweig an den Universitäten geben, in dem angehende Innenarchitekten darauf getrimmt werden, ein absolutes Maximum an Einfalls- und Geschmacklosigkeit zu entwickeln, wenn es darum geht, die Säle von Gaststätten zu entwerfen, und vor mir lag anscheinend die Examensarbeit eines wahren Champions. Der Saal war erstaunlich groß, mindestens zwanzig auf zwanzig Meter, wenn nicht mehr, und in ein langweiliges Schachbrettmuster aus Biertischen und billigen Stühlen unterteilt. Die Luft roch alt, nach abgestandenem Bier und Zigaretten und auch ein ganz kleines bisschen nach Erbrochenem, und kalte Neonleuchten unter der Decke setzten der abweisenden Atmosphäre die Krone auf. Die Fenster waren ausnahmslos mit schweren hölzernen Läden verschlossen, von denen die Farbe abblätterte, und am hinteren Ende des Raumes gab es eine hölzerne Empore, auf der bei irgendwelchen Festivitäten die übliche Zweimanngruppe spielte; ein drittklassiger Sänger mit einer Gitarre und die obligate Hammondorgel, die die Gäste (wenn sie Glück hatten) mit MIDI-Files berieselte.
    Im Moment stand ein einfacher Holztisch darauf, hinter dem ein schlanker, noch überraschend junger Mann saß, der an einer Kaffeetasse nippte und mir ohne die geringste Spur von Überraschung entgegensah, obwohl ich mir nicht die Mühe gemacht hatte anzuklopfen, bevor ich die Tür aufriss.
    Flemming. Das musste Flemming sein, schon weil sich außer ihm niemand hier im Raum befand. Der Grund für seine mangelnde Überraschung lag wohl zu einem Gutteil in dem aufgeklappten Notebook auf der Tischplatte. Es war halb zur Seite gedreht, und ich hatte den Monitor immerhin gut genug im Blick, um zu erkennen, dass es an eine Videokamera angeschlossen sein musste, die den vorderen Gastraum übersah. Der Kerl hatte uns abgehört!
    Ich machte einen weiteren Schritt, hörte, wie die anderen hinter mir den Saal betraten, und holte tief Luft, um ein paar klärende Worte loszuwerden. Flemming setzte hastig seine Kaffeetasse ab und stand auf. Anscheinend ließ der Ausdruck auf meinem Gesicht bezüglich meiner momentanen Stimmung keine großen Zweifel aufkommen.
    Flemming warf einen nervösen und eindeutig schuldbewussten Blick auf den Computer und entblödete sich nicht einmal, den Monitor hastig herunterzuklappen, gleichzeitig erhaschte ich noch einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht.
    Seltsam, ich hatte jemand vollkommen anderen erwartet.
    Nach den Briefen, die ich bekommen hatte, und dem halben Dutzend Telefongesprächen war ich einfach davon ausgegangen, jemandem im dunklen Anzug gegenüberzustehen, grauhaarig und ein wenig distinguiert, aber zumindest mit weißem Hemd und
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