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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman
Autoren: Michel Birbaek
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zu einem Riesenreflektor und blendete jeden, der auf der Felsplatte stand. Wer dann sprang, konnte nur hoffen, dass sein Anlauf stimmte. Das hatte vielen Ruhm, anderen den Tod und manchen noch Schlimmeres eingebracht.
    Die Stadt hatte alles versucht, um die Jugendlichen von hier fernzuhalten. Verbotsschilder, Zäune, Kontrollen, Strafen – nichts hatte funktioniert. Bis man auf der anderen Seite des Sees Sand aufgeschüttet hatte. Seitdem wurde drüben auf dem künstlichen Strand gefeiert und entjungfert, aber nicht mehr gestorben. Nur die Umweltsäue kippten immer noch ihren Müll von den Klippen. Wie tief der See war, konnte man daran erkennen, dass die Wasserqualität bei jeder Probe erstklassig blieb.
    Wir waren halb um den See herum, als November plötzlich regungslos verharrte, den Körper senkte und ein Gebüsch anknurrte. Ich blieb sofort stehen und schaute mich nach einem Baum mit niedrigen Ästen um, auf den ich michnotfalls flüchten konnte. Manchmal liefen hier noch Wildschweine herum. Ich gab November das Zeichen. Er stellte sich geduckt neben mich und knurrte weiter. Was auch immer da im Gebüsch war, ein Kaninchen konnte es ja dann nicht sein.
    »Verdammt, halt den Köter fest«, keuchte eine Stimme.
    Es raschelte im Gebüsch, und Schröder kam hervor. Er trug eine kurze Jogginghose, unter der weiße, wabblige Beine zum Vorschein kamen, und ein Bayerntrikot, das über seiner Wampe spannte. Sein Gesicht war puterrot und schweißüberströmt, seine Haare waren staubtrocken. Ich starrte ihn an.
    »Was soll das werden?«
    »Was wohl? … Scheiße«, keuchte er. Er kämpfte sich aus dem Gebüsch auf den Pfad hinauf, wo er stehen blieb, sich vornüberbeugte, seine Hände auf die Knie stützte und nach Luft schnappte.
    »Bist du in Ordnung?«, fragte ich. »Ich meine, klar, ich sehe, du bist Bayernfan, aber davon abgesehen …«
    »Leck … mich … verflucht. Mir … geht’s … verdammt noch mal … bestens!«
    »Wusste gar nicht, dass du joggst. Halten deine Gelenke das aus?«
    Er schnitt Fratzen und versuchte durchzuatmen. Bevor er sich erholen konnte, kam jemand leichten Schrittes den Pfad entlanggelaufen. Zuerst sah man einen drahtigen Körper mit einer erstklassigen Körperhaltung, dann eine Baseballkappe, aus der hinten dichtes blondes Haar hervorquoll. Ich hielt sie für ein Mädchen, doch als sie näher kam, sah ich, dass sie Anfang dreißig sein musste. Sie blieb neben uns stehen, trabte auf der Stelle, nickte mir zu und heftete ihren Blick dann auf Schröder, der sich aufrichtete und versuchte, das Trikot unten zu halten. Jedes Mal, wenn er losließ, rollte es wie ein Rollo über seine Wampe zurück.
    »Kollege Schröder, sind Sie in Ordnung?«
    Schröder nickte, zog das Trikot wieder runter und sah zu Boden. Ihn verlegen zu erleben war fast ein größerer Schock, als ihn in Sportsachen zu sehen.
    »Wir sind zehn Kilometer gelaufen«, sagte ich. »War vielleicht zu viel nach dem Boxtraining.«
    Sie warf mir einen Blick zu, aus dem nichts herauszulesen war, und sah wieder Schröder an.
    »Haben Sie Kreislaufprobleme? Ich habe mein Handy dabei. Wenn Sie wollen, rufe ich einen Arzt.«
    »Mir geht’s gut«, murmelte Schröder und musterte ausgiebig den Boden vor seinen Füßen. Neben ihm ließ November sich gelangweilt auf den Hintern plumpsen. Die Neue musterte Schröder, dann nickte sie.
    »Na gut. Aber lassen Sie es ruhig angehen. Am besten gehen Sie langsam weiter. Guten Abend.«
    Wir schauten ihr nach. Der Pferdeschwanz wippte im Takt, als sie leichtfüßig und locker weiterlief. Man hörte ihre Schritte kaum. Ich tippte auf Leichtathletik.
    »Was meinst du?«
    »Geiler Arsch«, sagte er.
    »Trottel.«
    Er schaute beleidigt drein.
    »Als hättest du verflucht noch mal nicht hingeguckt.«
    »Sie ist Polizistin und wollte dir helfen. Wärst du umgefallen, hätte sie erste Hilfe leisten müssen. Es wäre ihre Pflicht gewesen, dir Mund-zu-Mund-Beatmung zu verpassen. Aber du musstest ja einen auf taff machen.«
    Sein Mund öffnete sich schlapp.
    »Scheiße …«, flüsterte er.
    »Jaja, ich lauf dann mal weiter, du kannst dich ja wieder im Gebüsch verstecken, vielleicht kommt sie morgen noch mal vorbei.«
    Ich setzte mich wieder in Bewegung. November folgte mir, erleichtert, dass es endlich weiterging. Mir fiel auf, dass er keinmal geknurrt hatte.
    »Soso, Kaninchen und Polizistinnen, was?«
    Er belohnte mich mit einem Kragehop, bevor er ins Unterholz verschwand, um einen Höllenkrach zu
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