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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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Sehenden.
    Er riecht an dem Staub. Verreibt ihn zwischen den Fingern. Er kennt diesen Geruch von Schmutz, altem Schmutz, aber da ist noch etwas anderes. Der Geruch von Metall. Schwermetall. Ist das hier wirklich der richtige Ort, um sich zur Ruhe zu setzen? Sollen all diese Jahre hier ein Ende finden?
    Tîrgu Mures¸ ist nicht seine Heimatstadt. Sie liegt im falschen Teil von Transsilvanien. Seine Heimatstadt war Cas¸in, in der Nähe von Miercurea Ciuc im Landkreis Harghita. Aber nach dem, was dort geschah, existiert diese Stadt nicht mehr. Auf seiner Karte existiert sie nicht mehr. Es hatte ihn zu einem Dasein als Wanderer verdammt. Jetzt hat er diese Wanderung beendet. Und auch das Gitarrespielen. Und das Singen.
    Er hat aufgehört zu leben.
    Seit Längerem lauscht er schon ihren Stimmen. Sie waren von einem Zimmer ins nächste gegangen, der Leiter stolziert hinter ihnen her mit einem Klang in seiner Stimme, den er bisher noch nie gehört hat. Ihm wird klar, dass es hier um etwas Wichtiges geht, und in einem anderen Leben hätte er schneller reagiert. Da hätte er das Heim schon längst über den Hinterausgang verlassen – den kannte er besser als seine Westentasche –, bevor es zu spät war. Aber zu spät wofür? Was konnte ihm denn hier noch drohen? War er denn nicht schon ganz am Boden?
    Viel zu spät begreift er, dass Ruhen nicht bedeutet, dass man am Boden ist. Es gibt einen Boden, wo ein Ausruhen nicht mehr möglich ist.
    Es ist Mitte Februar, Viertel nach zwei Uhr am Nachmittag. Er spürt das Licht. Er weiß genau, wie hell es ist. Die Tür ist geschlossen, das hört er, das spürt er am Licht, sie haben offensichtlich die Türen zu allen Räumen geschlossen. Er spürt, dass sich etwas anbahnt.
    Aber er spürt keine Furcht. Wovor sollte er auch Angst haben? Hat er nicht schon alles erlebt?
    Aber als die Tür zu seinem Zimmer aufgestoßen wird, spürt Mander Petulengro zum ersten Mal seit vielen Jahren – nein, keine Angst, das wäre zu viel gesagt, aber ein Unbehagen, das Gefühl, dass ein vertrauter, statischer Zustand ungewollt eine Eigendynamik entwickelt.
    Denn er weiß, dass es eigentlich heller wird, wenn die Tür aufgeht. Draußen im Flur ist es heller, der Raum der acht »Gäste« ist der dunkelste des ganzen Pflegeheims. Aber dieses Mal wird es nicht heller. Obwohl er hört, wie die Tür aufgestoßen wird, wird es dunkler. Noch dunkler.
    Zuerst glaubt er, dass sein vielfach belegtes Gespür für Licht – über das er ja eigentlich gar nicht verfügen dürfte – außer Kraft gesetzt wurde. Doch dann begreift er, dass etwas anderes im Gange ist.
    Etwas ganz anderes.
    An den Schritten erkennt er, dass es neben dem Heimleiter drei sind. Verglichen mit dessen nur ungefähr siebzig Kilo leichten Schritten, sind diese drei Personen wesentlich schwerer. Zwei von ihnen sind sogar richtig schwergewichtig.
    Aber die Stimme des Dritten hört er als Erstes: »Der Hydrozephalus ist großartig, davon abgesehen sind wir überhaupt nicht zufrieden.«
    Eine Bassstimme, gewohnt, Befehle zu erteilen, trotzdem neutral, geschäftsmäßig, der drohende Unterton lässt sich kaum heraushören. Bleistiftspitzen auf Papier. Mander Petulengro versucht sich daran zu erinnern, was »Hydrozephalus« bedeutet, während seine Nase wahrnimmt, dass der Heimleiter anfängt zu schwitzen.
    »Aber die Chorea Huntington ist doch auch ausgezeichnet«, versucht es der Heimleiter mit einem Flehen in der Stimme. »Und der Junge ist noch so klein. Den könnte man hervorragend mit einer üppigen Mutterfigur kombinieren.«
    »Es ist wohl kaum Ihre Aufgabe, uns unsere Arbeit zu erklären, oder?«
    »So war das doch gar nicht ...«
    »Ich habe selten so eine abstoßende Achondroplasie gesehen«, unterbricht ihn die Bassstimme. »Glauben Sie im Ernst, dass er auch nur einen einzigen Cent einspielen wird?«
    Mander Petulengro hört den Heimleiter tief Luft holen und versucht, die Puzzlestücke zusammenzufügen. Was ist das hier? Was geht hier vor? Und was hat es mit ihm zu tun? Vielleicht ja gar nichts. Er hofft es. Er möchte sich am liebsten wegdrehen, sich auf das Bett zwischen die hungrigen Flöhe legen. Aber das tut er nicht. Er bleibt reglos sitzen. Konzentriert sich. Hydrozephalus, Chorea Huntington, Achondroplasie – das waren alles medizinische Ausdrücke. Wofür? Für Krankheiten?
    Und was war damit gemeint: »Glauben Sie im Ernst, dass er auch nur einen einzigen Cent einspielen wird?«
    Er hört die schweren Schritte
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