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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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vollkommen lautlose Stichflamme schießt in die Luft, wie aus einem seitlich vergrößerten Bohrloch, in alle Richtungen. Dann kehren die Geräusche zurück. Wie eine Sequenz von Donnerschlägen. Als ein Benzintank nach dem anderen explodiert. Die unbarmherzige Kettenreaktion fossiler Brennstoffe.
    Jetzt steht ein Flammenwald über der Autobahn. Ein dichter Feuerdschungel. Trotz der Entfernung erfasst die Hitze die Zuschauer auf der entgegengesetzten Fahrbahn. Sie werden von dem Echo der Explosion förmlich überrollt. Aus irgendeinem Grund muss sie daran denken, dass ihre Augenbrauen gerade versengt werden.
    Mit welch einer wahnsinnigen Geschwindigkeit das alles verbrennt. Das ist gar keine Kettenreaktion. Alles geschieht gleichzeitig. Die Welt steht in Flammen. Die Hitze verschluckt jedes Geräusch. Es wird vom Feuer vertilgt. Alles ist Feuer. Erneut bildet sich ein schwarzer Rauchball, der in den Himmel steigt.
    Dann ist alles so abrupt vorüber, wie es begonnen hat. Das Feuer erstirbt, nachdem es alles verschlungen hat, was in seinem Weg war. Der Rauchball schwebt davon, und es folgen ebenfalls schwarze, aber nicht so kompakte Schwaden. Und aus ihnen taucht ein Autowrack nach dem anderen auf, jedes vollkommen ausgebrannt.
    Alles ist schwarz. Verkohlt. So sieht die Erde nach der Götterdämmerung, nach Ragnarök aus.
    Und doch ist das nicht ganz richtig. Denn inmitten des Kreises der Zerstörung steht etwas. Und das ist nicht schwarz. Es ist weiß.
    Ein kleines weißes Auto in all dem verkohlten Schwarz.
    Da geschieht das Unglaubliche, und die Tür des Wagens öffnet sich. Ein junger Mann stolpert heraus, so weiß wie sein Auto. Er sieht sich um. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass er wirklich etwas sieht. Seine Bewegung wirkt eher wie ein tief verwurzelter, mechanischer Reflex.
    Der junge Mann bleibt neben seinem Wagen stehen. Er sieht nichts. Aber er lebt.
    Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn sehen die Menschen umso mehr. Sie sehen ein kleines weißes Auto, umgeben von ausgebrannten rauchenden Wracks, das offensichtlich vollkommen unbeschädigt ist. Und es ist wie eine Offenbarung, eine Vision.
    Sie sieht sich um. Mustert die anderen Autofahrer. Ihre Blicke begegnen sich. Sie sehen alle dasselbe.
    Sie sehen, wie das Weiße aus all dem Schwarzen hervorsticht, hinter dem Rauchvorhang, der sich immer mehr lichtet.
    Und sie denkt: Ein Elektroauto.
    In diesem Augenblick weiß sie, was sie tun muss.

Der Ankauf
Tîrgu Mures¸, Rumänien, 17. Februar
    Die meisten Menschen überrascht es, dass Mander Petulengro Hell und Dunkel unterscheiden kann. Viele glauben, dass er schummelt und doch über ein Mindestmaß an Sehkraft verfügt. Aber das ist nicht wahr. Er wurde blind geboren und konnte noch nie sehen. Er weiß nicht einmal, was das bedeutet.
    Das unterscheidet ihn von den Erblindeten, die er kennenlernt. Sie leiden darunter, empfinden ihre Blindheit als einen großen Verlust und Mangel. Und setzen ihr Leben fort als Schatten im Universum der Sehenden.
    Aber er tut das nicht. Er steht damit allein. Wenn er hingegen manchmal anderen Blindgeborenen begegnet, erlebt er so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl. Dann berühren sie seine Welt für kurze Zeit. Sonst existieren sie nicht wirklich. Denn auch sie sind allein in ihrem Kosmos.
    Es gab Zeiten, da hätte er es sich gewünscht, dass jemand sein Universum betreten und dort seinen Platz finden würde. Das war die Zeit der Wanderung. Seine kleine Luminitsa aus Sarajevo. Auch sie war blind wie er, und doch konnte sie ihn sehen wie kein anderer. Besser als er sich selbst. Und für eine kurze Zeit befanden sie sich im selben Universum.
    Nein, diesen Stein wollte er nicht umdrehen.
    Er hat sich zurückgezogen. Dieses Pflegeheim soll seine letzte Station sein. Eigentlich wartet er nur auf die nächste Dunkelheit, die Finsternis. Er ahnt, dass der Übergang gar nicht so drastisch sein wird.
    Sogar seine Gitarre hat er beiseitegestellt. Als er sich im Bett aufsetzt und an einem frischen Flohstich kratzt, lässt er seine Hand auch über die Kurven des Instruments gleiten. Der Gedanke an Luminitsa aus Sarajevo wird brutal vom Widerstand des Staubs zwischen seinen Fingern verdrängt. Für eine Sekunde erfüllt ihn der Kummer, dass er seine Gitarre schon wieder verstauben lässt. Aber dann schiebt er auch diesen Gedanken weg. Er hat sich zurückgezogen. Er hat genug gespielt, genug gesungen und ist lange genug umhergewandert. Und er hat bedeutend mehr gesehen als alle
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