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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
Autoren: Arne Dahl
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Autobahnlandschaft?
    Keines war dem anderen vorzuziehen. Beides war falsch. Beide Formen gehörten ins 20. Jahrhundert, und das war vorbei. Es war Zeit, endlich das neue Jahrhundert einzuläuten.
    Wir haben die Chancen des 20. Jahrhunderts verstreichen lassen. Seine zahllosen Möglichkeiten, endlich eine Gesellschaft zu etablieren, in der für alle genügend Platz ist, in der niemand außen vor bleiben muss. Zum ersten Mal seit Menschengedenken verfügten wir über ausreichend Ressourcen. Und was haben wir damit gemacht? Wir sind praktisch widerstandslos zu den mittelalterlichen Werten zurückgekehrt, in eine primitive Gesellschaftsform, wo das Prinzip survival of the fittest herrscht.
    Sie weiß genau, dass ihr diese Gedanken kommen, weil sie so schnell wie möglich diesen Autobahnabschnitt um Braunschweig hinter sich lassen will. An etwas anderes denken will. Als würde die Autobahn es zulassen, dass man an etwas anderes denkt.
    Soeben hat sie den Kopf nach links gedreht und einen Blick auf die Silhouette von Braunschweig erhascht, als sie etwas anderes sieht. Ihr vorausschauender Blick, der gerade auf der Autobahn so wichtig, so lebenswichtig ist, registriert ein blinkendes Licht. Es ist das erste Signal einer ganzen Perlenkette von Zeichen, die mit einer Geschwindigkeit auf sie zurasen, dass ihr Interpretationsvermögen auf eine harte Probe gestellt wird. Etwa vier, fünf Wagen vor ihr leuchten Warnblinklichter auf. Davor sieht sie noch mehr Scheinwerfer aufblenden, Bremslichter und Warnblinker, rot und orange, in unmittelbarer Nähe hört sie Bremsgeräusche, Vollbremsungen. Schlittergeräusche?
    Dann herrscht Stille.
    Erst als ihr Auto zum Stehen kommt und der kurze schicksalsschwere Blick in den Rückspiegel bestätigt, dass auch die Autos hinter ihr stehen, folgt die nächste Kette von Ereignissen. Allerdings auf der gegenüberliegenden Fahrbahn.
    Zuerst steigt Rauch auf. Und es ist kein zarter, anmutiger ätherischer Dunst, der sich in den Himmel schlängelt. Ganz und gar nicht. Es ist ein sphärischer Rauchball. Es sieht aus, als wäre dieser schwarze Ball auf der Erde aufgeprallt und würde wieder nach oben springen, zu einer gigantischen Hand, die schon längst zurückgezogen wurde. An ihrer Stelle befindet sich nun etwas anderes dort oben im Himmel, wo sich der Rauchball verflüchtigt – und das dürfte auf keinen Fall dort sein. Und sie sollte auch auf keinen Fall aus dem Auto steigen, um es anzusehen. Und das sollten die anderen Autofahrer ebenso wenig tun. Aber sie tun es. Das ist quasi unvermeidlich.
    Dort, wo vorher der Rauchball in den Himmel stieg, ist jetzt ein Lkw-Anhänger. Ein schwerer, sehr schwerer Anhänger. Es ist wie ein Standbild. Man kann sich die Kräfte nicht vorstellen, die diesen Anhänger in die Luft katapultiert haben.
    Es ist der Anhänger eines Tanklastwagens.
    Das Ganze findet in einiger Entfernung statt und beinahe wie in Zeitlupe, sodass alles unwirklich erscheint, aber vermutlich sollte man in Deckung gehen. Diese Erkenntnis liest sie auch in den Blicken der anderen Autofahrer. Aber jetzt ist es zu spät, etwas dagegen zu unternehmen, denn der Anhänger stürzt zu Boden. Sie registriert die Bewegung. Eine Massenkarambolage. Sie sieht mehrere schwarze Autos, zwei rote, ein blaues, ein silbernes, und sie sieht ein kleines weißes Auto im Zentrum des Geschehens. Alle sind ineinander verkeilt, aber es wirkt nicht wie ein tödlicher Zusammenstoß, noch nicht.
    Denn das Letzte, was sie wahrnimmt, bevor der Anhänger auf der Unfallstelle aufschlägt, ist, dass etwas aus dem Anhänger läuft. Aber nicht einfach nur läuft, sondern vielmehr fließt, strömt, ja stürzt. Von der klaren Flüssigkeit, die sie im Bruchteil einer Sekunde erkennt, steigt ein Flimmern auf. Die Flüssigkeit aus dem Tanklaster versetzt die Luft in Vibration.
    Dann schlägt der Anhänger auf. Nahezu lautlos.
    Sie dreht sich zu den anderen Fahrern um und erkennt, dass auch sie wissen, was jetzt geschehen wird. Sie kann es in deren Augen sehen.
    In der Langsamkeit, mit der sie sich bewegen.
    Mit der sie ihre Köpfe senken, wie zu einem gemeinsamen Gebet. Zu welchem Gott auch immer.
    Die Stille dehnt sich unerträglich aus, während sich der Anhänger nach seinem langen Flug zurechtlegt. Sie kann es nicht sehen, aber das zunehmende Flimmern in der Luft verrät ihr, dass die Flüssigkeit unaufhörlich ausläuft.
    Und dann tritt das Unausweichliche ein. Die Flüssigkeit entzündet sich. Eine einzige
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