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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur
Autoren: Ella Theiss
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Seither hat er nix Nettes mehr gesagt, ihre Texte bloß abgenickt.
    Vielleicht könnte sie ein paar gute Fotos schießen, aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Vom alten Herrn, gramgebeugt vor seiner tristen Tütensuppenfabrik. Der graue Himmel würde perfekt passen. Also rasch weiter! Karo wirft sich ein zuckerfreies Lakritzbonbon ein und braust, was die alte Karre und die Verkehrsverhältnisse hergeben, in die Pampa im Norden.
    Doch kurz vorm Ziel: kein Durchkommen mehr. Polizei samt Schusswaffen und Spürhunden. Feuerwehr, Blaulichter, rot-weiße Banderolen vor der Werkseinfahrt. Und jede Menge Gaffer mit verschränkten Armen und gierenden Mienen. Nur auf der A 643 rauscht der Verkehr gleichgültig weiter. Karo parkt auf einem nahen Wanderweg. Not kennt kein Verbot. Die Redaktion wird den Strafzettel bestimmt zahlen.
    Die Frage, die ein Normalsterblicher in solcher Situation den Umstehenden stellen würde, nämlich, was denn da los sei, kommt für Karo nicht in Betracht. Karo ist Reporterin, muss direkt an die Informationsquelle rankommen. Vor allem hinter die Absperrung muss sie kommen, wo ein Löschfahrzeug samt Feuerwehrleuten in Schutzkleidung von Dramatik zeugen. Der Kollege vom lokalen Anzeigenblatt huscht, seine Kamera vorm Gesicht, in Hasenmanier umher, ein Typ vom Fernsehen hält einem eisern schweigenden Polizeibeamten ein Mikro unter die Nase. Dicht daneben – Karo stockt der Atem – hat sich Alex aufgebaut, den wie immer lauernden Blick auf den Fernsehmenschen gerichtet. So was! Endlich hat Karo mal eine gute Story, eine für die Titelseite vielleicht, da taucht der wieder auf.
    Sie arbeitet sich durch die Menge bis zum Rolltor, das von einem uniformierten Riesen mit buschigen Augenbrauen bewacht wird, will ihren Presseausweis zücken … Verdammt, den hat sie nicht dabei, der steckt in der Jeans mit dem Colafleck!
    Vielleicht klappt es auch ohne. Mit angelegten Ellbogen stößt sie vor …
    »Bleiben Sie zurück, Sie dürfen hier nicht durch!« Der Riese fährt seine Greifarme aus, packt Karo und schiebt sie wie einen Rollkoffer zurück.
    »Aber mein Mann ist da drin«, kreischt sie, »ich muss zu ihm!«
    »Niemand ist ernstlich verletzt. Gehen Sie nach Hause, warten Sie ab. Wenn die Personalien aufgenommen sind, dürfen alle Beschäftigten heim.«
    »Bitte, Herr Wachtmeister, ich will zu meinem Christian. Er braucht doch seine Notfallpillen«, jammert Karo, »sonst kriegt er vielleicht einen Herzinfarkt.« Entschlossen ergreift sie die Schachtel mit den Lakritzbonbons, wedelt damit vor den Augenbrauen herum, die sich bedenklich weit in Richtung Nasenspitze abgesenkt haben.
    ›Wachtmeister‹ ist ein Zauberwort. Es lässt den Freund und Helfer in jedem noch so drögen Polypen aufleben. ›Herr Wachtmeister‹ wirkt immer. Besonders wenn man dazu entweder flirtet oder schluchzt.
    Karo schluchzt wie ein verstopftes Saxofon, die Greifarme lösen sich und sie hechtet, »danke schön« japsend, durch die Sperre. Pietätvoll hält sie vor einem Häuflein offenkundiger Familien- oder Firmenangehöriger inne. Etwa ein Dutzend Menschen sind es, halten die Köpfe und die Stimmen gesenkt. Manche Augen sind gerötet, ein Papiertaschentuch wird gereicht. Würde nicht das typische Graubeige ungebleichter Baumwolle vorherrschen, müsste man an eine Trauergemeinde denken, die auf den Sarg wartet.
    Ein Steinwurf weiter, von noch mehr Banderolen umgeben, ein schlichter einstöckiger Bürobau mit Flachdach und aprikosenfarben verputzter Fassade. Wo man ein Glasportal mit Klofenstermaserung erwarten würde, tut sich ein riesiges staubiges Loch auf. Der herausdringende Geruch gleicht dem einer Frischfleischtheke, am Boden die optischen Boten einer Explosion, Glasscherben … Hautfetzen, Knochen …
    Karo wendet sich ab, hält die Luft an, fasst sich wieder. Reporterinnen dürfen nicht zimperlich sein. Wer kein Blut sehen kann, guckt eben nicht so genau hin, sondern heftet sich den richtigen Leuten an die Hacken.
    Karo muss nicht lange suchen. Einer der Kommissare ist hinreichend auskunftsfreudig.
    »Wie es aussieht, sind keine Menschen betroffen, nur Hühner. Ja, alles tote Hühner«, versichert er dem Fernsehreporter, der sich sichtlich gern selbst überzeugen würde.
    »Komplett? Mit Federn?«, will ein Kollege aus Wiesbaden wissen.
    »Nein, gerupft, geköpft und ausgenommen. Bratfertig, sozusagen.«
    Da riskiert sogar Karo einen erneuten Blick durch die zerborstene Tür. Sie mag Brathähnchen, kauft sich manchmal
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