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Neben Der Spur

Neben Der Spur

Titel: Neben Der Spur
Autoren: Ella Theiss
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Krieg?
     
    Der Löffler verteilt die Reste. Wie am Ende jeder Mittagskonferenz beim Lokalen. »Einmal Ausschuss für Innenstadtbegrünung, einmal Kindergartenoffensive im Stadtteil Ebersheim, einmal hundertjähriger Opa, einmal entlaufener Leguan …«, leiert der Löffler im Tonfall eines altgedienten Marktschreiers. Lässt seine Dackelaugen über der Schar der Freien kreisen. »Wer will noch mal, wer hat noch nicht?«
    Karo schnipst mit dem Finger. Wenn sie leer ausgeht, ist der Tag gelaufen. Wer jetzt keinen Auftrag abkriegt, kann heimgehen. Ohne Gage. Oder muss den Ordner PR-Mails nach tauglichen Kurzmeldungen durchackern, eine Strafarbeit.
    Nanette ist schneller, krallt sich die vergleichsweise attraktive Kindergartenoffensive und hechtet davon, als würde sie schon sehnlich erwartet.
    »Dann nehm ich den Hundertjährigen«, sagt Karo.
    »Super!« Der Löffler lächelt gütig, reicht ihr zwei aneinandergeheftete Bögen Recyclingpapier, beidseitig eng bedruckt, und als Zugabe einen baumwollenen Einkaufsbeutel mit waldgrünem Allerweltslogo. »Karo, der alte Herr ist dein!«
    Eine Stimme aus dem Hinterhalt mischt sich ein: »Pass auf, dass du ihn nicht ansteckst mit deinem demenziellen Syndrom.«
    Das Kichern der Kollegen dröhnt in Karos Ohren. Das war Alex, der Hochleistungsschleimer. Tritt grundsätzlich im Blazer auf und riecht nach Eichenmoos. Hat wie selbstverständlich den Job bekommen, den Karo wollte: Polizeireporter. Während Karo sich weiterhin als Freie um die Krümel kloppen muss, gehört er zu jenem Tross von Kollegen, die bis Mittag längst wissen, was sie zu tun haben. Trotzdem hängt dieser Blender in allen Konferenzen herum, in die die Chefs ihn lassen. So ungerecht ist das Leben!
    Klar, dass er auf die Panne von voriger Woche anspielen muss! Karo hatte vergessen, ihm eine Einladung des städtischen Polizeimusikkorps weiterzureichen, mit der Folge, dass Alex bei dem öffentlichen Ständchen fehlte und der Korpsleiter seither beleidigt ist.
    »Bleiben noch Radweg, Leguan und …«
    Karos Synapsen kreisen um Regel Nummer zwei ihres neuen Karriereratgebers Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Am wirkungsvollsten schlagen Sie den Gegner mit eigenen Waffen, heißt es da. Kein Problem für clevere und wortgewandte Journalistinnen wie Karo!
    »Der Leguan wär doch was für Alex«, ruft sie, »beides Kriechtiere.«
    Stille. Verhaltenes Glucksen. Alex verzieht seine Lippen zu einem Knäuel. Der Löffler tut, als hätte er nichts gehört.
    Karo wird heiß. War wohl ein Tick zu fies? Egal, jetzt heißt es souverän bleiben. Sie erhebt sich lächelnd und verlässt den Konferenzraum mit einem versöhnlichen Wink in die Runde.
    Dass sie manchmal so vollpfostig danebenschießt! Peinlich! Seufzend steuert sie ihren Schreibtisch an, der sich am Nordfenster des Großraumbüros zwischen einem halb kahlen Benjamini und einer mit bunten Merkzetteln beklebten Schallschutzwand duckt. Übergießt das Unbehagen zwischen ihren Rippen mit ein paar Schlucken aus ihrer Cola-zero-Flasche. Es hilft einigermaßen und Karo kann sich den graubeigen Papierbögen mit den verspielten Centaur-Lettern widmen.
     
    Sehr geehrte Damen und Herren von der Presse, … bitte lenken Sie ihre geschätzte Aufmerksamkeit auf die anliegende Presseinformation …, die Sie informieren möchte …
     
    Karo überfliegt das umständliche Anschreiben, forstet nach den Essentials: Wer-was-wann-wo …
    Aha, Pressekonferenz um vierzehn Uhr im Vestibül des Wohnhauses der Familie. Laudatio durch den Oberbürgermeister. Das Anwesen liegt laut Pressemitteilung im Norden von Mainz inmitten einer naturnahen Landschaft, leicht zu erreichen über die örtliche Hauptstraße, Abfahrt Waldfriedhof … Ein Hundertjähriger wohnt am Waldfriedhof? Was für ein Widerspruch! Das könnte glatt ein Bonmot zum Einstieg in den Artikel abgeben. Oder lieber doch nicht.
    Auf dem Begleitbogen blafft Karo ein fett gedruckter Lorbeerkranz an mit einer in der Mitte eingefügten Zahl: 100. Einen Absatz drunter wird’s informativ: Hermann Hepp heißt der Alte. Hermann? Ist das nicht eher ein Nachname? Und er war, beziehungsweise ist ledig, protestantisch … und Gründer einer Firma für – auch das noch! Einer Herstellerfirma für Gemüsebrühwürfel, Fertigsuppen, Fertigsoßen und solches Zeug. Der feine Geschmack der Natur – biologisch, rein pflanzlich, cholesterin- und lactosefrei …
    Karo atmet tief durch, schüttelt die Baumwolltasche über ihrem Schreibtisch aus.
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