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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss
Autoren: Markolf Hoffmann
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bleiben.
Rumos Rokariac hat versprochen, mir zu meiner Rache zu verhelfen. Nun muss ich mich gedulden, bis er nach Thax zurückkehrt.
Sie blickte auf den schneebedeckten Pfad, der sich in das bewaldete Tal hinabschlängelte. In der Ferne war zwischen den Bergkuppen ein Dorf zu sehen - Narva, eine einsame Siedlung an der Grenze zu Ganata. An der Straße nach Narva, so hatte Bars Balicor ihr gesagt, lag ein verfallener Tempel, in dem sie einen geheimnisvollen Gefangenen in Empfang nehmen sollte. ›Behandle ihn gut‹, hatte der Hohepriester sie ermahnt. ›Es wäre eine Katastrophe, wenn er zu Schaden käme.‹
    Vorsichtig strich Ashnada über den Hals des Pferdes. »Du wirst jetzt brav weiterreiten«, sagte sie leise, »oder ich werde dich windelweich prügeln, das schwöre ich dir.« Das Tier schien sie verstanden zu haben. Es ließ Ashnada aufsteigen und schritt auf dem abschüssigen Pfad voran.
    Es dauerte nicht lange, bis sie die Ruine des Tempels erreicht hatte: ein verwittertes Gemäuer mitten im Wald; schemenhaft war es zwischen den Bäumen zu erkennen. Ashnada stieg vom Pferd und schritt durch den knirschenden Schnee auf das Gebäude zu. Mauerreste und Steinblöcke ragten aus dem Waldboden und versperrten ihr den Weg. Offenbar hatte hier einmal ein Dorf gestanden, das in einem der letzten Kriege zerstört oder verlassen worden war.
    Sie band das Pferd an einen Baum und näherte sich dem düsteren Bau. Deutlich war das kuppelförmige Dach des einstigen Tempels zu erkennen. Die Wände standen schief und waren von Flechten umrankt. Der Eingang war halb eingestürzt; Ashnada musste über mächtige Steinquader steigen, um einen Blick ins Innere des Tempels werfen zu können.
    Brandgeruch stieg ihr in die Nase. Dort drinnen musste ein Feuer brennen, vielleicht eine Fackel. Ashnada legte die Hand an den Schwertgriff. Dann quetschte sie sich durch den engen Eingang.
    Rötlicher Fackelschein schlug ihr entgegen. Sie erkannte zwei Gestalten, die in der Mitte des Raumes standen. Bei der ersten handelte es sich um ein Kind, ein wohl zwölfjähriger Junge mit kurzen blonden Locken, gekleidet in eine rote Robe. Er stand mit gesenktem Kopf auf einem umgestürzten Altarstein und schien Ashnada nicht zu bemerken, denn selbst als sie näher trat, blickte er nicht auf.
    Die zweite Gestalt war groß und hager. Sie war in Lumpen gehüllt, der Kopf war mit einem schmutzigen Tuch verhüllt. In den Händen trug sie eine Pechfackel, von der in dicken Schwaden der Rauch aufstieg. »Wer da, wer da?«, krächzte die hagere Gestalt. »Wer bist du?« Es handelte sich um eine Männerstimme, verzerrt und unfreundlich.
    Misstrauisch betrachtete Ashnada den Fremden. »Was geht dich mein Name an? Ich bin nicht hier, um Höflichkeiten auszutauschen.«
    Der Mann kicherte auf. »So? Warum dann? Was suchst du, Weib?«
    »Mich schickt der Hohepriester«, erwiderte Ashnada.
    Der Fremde ließ die Fackel sinken. »Welcher Hohepriester? Wir haben zwei, wenn ich mich nicht irre, und wer in diesen Tagen dem Falschen dient, bezahlt dafür oft mit dem Leben.«
    Die Stimme kam Ashnada bekannt vor. »Mir ist es gleich, welcher Hohepriester der richtige und welcher der falsche ist. Ich kam hierher, um jemanden abzuholen. Falls Ihr diese Person seid, hört auf, mir Scherereien zu machen. Seid Ihr es aber nicht, so macht, dass Ihr fortkommt.« Langsam zog sie ihr Schwert. Der Mann lachte erneut auf. Mit einem Ruck riss er sich das Tuch vom Kopf. Ein struppiger Bart kam zum Vorschein.
    Ungläubig riss Ashnada die Augen auf. »Rumos!«, stieß sie hervor.
    »Sei mir willkommen, Ashnada«, antwortete der Zauberer. »Der Zufall will es, dass wir uns stets in solch alten Gemäuern begegnen.«
    Ashnada versuchte, ihre Fassung wiederzugewinnen. »Ich dachte, Ihr hättet Thax verlassen. Balicor sagte, dass Ihr nach Vara aufgebrochen seid.«
    »Die Umstände zwangen mich zu einem kleinen Umweg, den ich Balicor verschwieg. Unser geschätzter Hohepriester muss nicht alles wissen.« Rumos wies auf das Kind, das in der Mitte des Raumes stand. Es hatte noch immer die Augen geschlossen, wirkte abwesend und apathisch. »Ich musste einen hohen Gast in Empfang nehmen. Der junge Herr befindet sich auf der Reise nach Thax, wo seine Anwesenheit dringend erforderlich ist. Es war mir eine Ehre, ihn ein Stück des Weges zu begleiten.«
    In diesem Moment öffnete der Junge die Augen und starrte Ashnada an. Sein Blick wirkte fest und erwachsen; es war nichts Kindliches darin. »Wer ist
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