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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss
Autoren: dtv
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im Dach zu flicken. Seit er dort oben stand, hatte er unablässig geflucht und geschimpft, und Michelle, die aus Erfahrung wusste, dass er jeden Moment explodieren würde, war hinausgegangen. Aber als sie mit der Kleinen wieder hereingekommen war, hatte sie Karl, den sie vor dem Fernseher zurückgelassen hatte, nirgends gefunden.
    »Gary, wo –?«
    »Ich sag dir doch, ich hab ihn nicht gesehen.«
    Ein gellender Schrei aus ihrem Schlafzimmer schreckte sie auf. Als Michelle ankam, stand Karl immer noch schreiend vor dem Kleiderschrank und starrte voll Entsetzen auf seine Hände. Das Messer lag, blutbeschmiert, neben ihm auf dem Fußboden.
    »O Gott!«
    Als sie zu ihm wollte, drehte er sich von ihr weg und warf sich an die Wand.
    »Karl, Karl, es ist ja gut. Komm, lass mich sehen. Lass mich sehen, Schatz, komm, lass mich mal sehen.«
    Gary erschien an der Tür und sah das Messer. »Scheiße, was hast du da gemacht, du blöder kleiner Idiot? Was musst du deine dreckige Rotznase in Dinge stecken, die dich nichts angehen, hm? Hm?«
    »Gary. Sei still. Lass ihn.«
    »Ich werd ihn gleich lassen.«
    Er packte Michelle am Arm und stieß sie weg. Karl sah den Schlag kommen und riss die Arme in die Höhe, aber sie konnten der Wucht des Hiebs nicht standhalten, und die Faust traf den Jungen seitlich am Kopf.
    Karl schrie auf und brach weinend in der Ecke zusammen.
    »Du Schwein! Du feiges Schwein!« Michelle hatte das Messer gepackt. Beide Hände um seinen Griff, die Spitze auf Garys Brust gerichtet, sprang sie zwischen Vater und Sohn. »Untersteh dich, ihn noch einmal anzurühren!«
    Gary starrte sie keuchend an und ließ langsam die Hände sinken. Was zur Hölle bildete das blöde Luder sich ein, ihn mit dem Messer zu bedrohen? Aber als er versuchsweise einen halben Schritt näher auf sie zutrat, war klar, dass sie nicht wanken und weichen würde. Mit einem verächtlichen Grinsen wandte Gary sich ab. Erst als er schweren Schritts die Treppe hinuntergepoltert war, und sie die Haustür zufallen hörte, warf Michelle das Messer aufs Bett und nahm den verängstigten kleinen Jungen in die Arme.
     
    Resnick war nicht der Einzige, der in dieser Nacht keinen Schlaf fand. Kevin Naylor hatte schließlich gegen drei Uhr morgens aufgegeben und war mit seiner Bettdecke ins Wohnzimmer umgezogen, um Debbie nicht zu stören. Dort setzte er sich vor den Fernseher und verfolgte ohne großes Interesse eine Diskussion zwischen einem amerikanischen Wissenschaftler, der offenbar ein Buch über Bondagepraktiken geschrieben hatte, und einer absolut humorlosen Komikerin, die sich darüber stritten, welcheAuswirkungen der Anstieg des Östrogengehalts im Wasser auf die Spermienzahl hatte. Nach fünfzehn Minuten hatte er genug. Er duschte, zog sich an, schrieb Debbie einen Zettel und machte sich auf den Weg zur Dienststelle.
    Es musste doch irgendetwas geben, irgendetwas, was sie übersehen hatten. Im Dienstraum begann er, Lynns Schreibtisch durchzusehen, Schublade für Schublade, Akte für Akte, Schriftstück für Schriftstück. Nach fast einer Stunde war er so frustriert, dass es ihm beinahe entgangen wäre. Die Gelben Seiten, mit den braunen Ringen zahlloser Kaffeebecher dekoriert, hatte er ziemlich gründlich inspiziert. Eingekreist waren da nur Pizza-Lieferdienste, indische Take-aways, Taxiunternehmen. Kevin griff zum darunterliegenden Thomson-Branchenbuch und blätterte es flüchtig durch. Beim ersten Mal fiel ihm nichts auf, erst bei der zweiten Durchsicht, als er das Buch durchs Zimmer trug, um es zurückzulegen, bemerkte er die Sternmarkierung in blauem Kugelschreiber und den Namen, der in Druckbuchstaben schräg neben der Spalte aufgeschrieben war.
    SCHOTNESS BÜROMATERIAL –
Großhandel
    Als Adresse war ein Gewerbegebiet in der Nähe der Ausfahrtstraße nach Clifton eingetragen.
    Der Name neben der Spalte lautete Michael Best.
    Zweimal verwählte sich Naylor in seiner Erregung, und als er dann durchkam, läutete das Telefon endlos ins Leere.
    »Scheiße!«
    »Probleme, Kevin?«
    Er wäre Resnick am liebsten um den Hals gefallen, als er ihn an der Tür stehen sah. »Schauen Sie«, sagte er und nahm das Branchenbuch von Lynns Schreibtisch. »Sehen Sie, da!«
    Resnick nahm ihm das Buch ab und legte es wieder hin, um zu lesen. »Gut gemacht«, sagte er. »Sehr gut.«
    Naylor war zu aufgeregt, um rot zu werden.
    Resnick sah auf seine Uhr. »Noch zu früh, um jemanden zu erreichen. Aber inzwischen können Sie Folgendes tun: Die Namen der Leute,
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