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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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Beros kahler Schädel glänzte im Feuerschein, der stämmige Mann gab Laute von sich, die Iyen abstießen.
    Die Schreie des Jungen wurden wieder leiser, mischten sich mit krampfhaftem Schluchzen. Iyen schottete sich von all dem ab, ließ es nicht an sich heran. Mitleid war ihm vollkommen fremd, was ihn störte, war die sinnlose Grausamkeit.
    Ich sollte mich nicht einmischen. Vielleicht ist es besser, dass der Junge schon heute Nacht stirbt. Der Ritt morgen wäre kaum weniger quälend für ihn geworden … Hm, oder eher gesagt, kaum weniger tödlich.
    Normalerweise brachten sie Entführungsopfer um, wenn sie ihren Auftrag, egal aus welchem Grund, nicht erfüllen konnten. Es war Teil jeden Kontrakts. Wer die Oshanta holte, war bereit, den Tod des Opfers hinzunehmen.
    Eigentlich kein Fehler, den letzten Wert des Jungen noch zu nutzen. Trotzdem ...
    Iyen fühlte sich hin- und hergerissen, als er am Ufer stand. Einerseits wollte er so rasch wie möglich zurückkehren, anderseits lieber noch weiter fortgehen, um die Schreie nicht mehr hören zu müssen. Die Übelkeit nahm zu, rasch zwang er einen Schluck Wasser herunter, wodurch es allerdings nicht besser wurde. Wie es schien, drohte er krank zu werden. Ein Schicksal, vor dem selbst ein Oshanta nicht gefeit war.
    Irgendwann hielt er es nicht mehr aus, packte die Pferde an den Führstricken, auch wenn sie noch nicht fertig waren, und drängte sie zurück. Er fuhr zusammen, als er bei seiner Rückkehr das unverwechselbare Klatschen eines Lederriemens auf nackter Haut hörte; das Lachen seiner Kampfgefährten; Rouvens erbarmungswürdiges Geschrei. Jarne und Bero standen über dem jungen Mann und vergnügten sich nun auf andere Weise.
    „Warum foltert ihr ihn?“, fragte Iyen kopfschüttelnd.
    „Er wird sterben. Selten, dass wir ein gesundes, jugendliches Übungsobjekt für die Verhörkunst haben, warum soll sein Tod nicht also noch irgendeinem Sinn dienen?“, erwiderte Bero, ohne aufzusehen. Iyen glaubte ihm kein Wort, dazu schwang zu viel Befriedigung in seiner Stimme mit.
    „Hier, nimm die Nadeln. Halt ihn fest, genau so!“, fügte Bero an Jarne gewandt hinzu.
    Die Schreie verstummten abrupt. Bero und Jarne hatten Rouven nach der Art der Oshanta gefoltert, wenn sie einen widerspenstigen Gefangenen zum Reden zwingen wollten: höchstmöglicher Schmerz, geringfügiger körperlicher Schaden. Neben fingerlangen Nadeln, die kunstvoll in die Nervenzentren gestochen wurden, hatten sie ihm oberflächliche Messerschnitte und gezielte Schläge mit Lederriemen und Stöcken zugefügt und warteten nun, dass er wieder zu Bewusstsein kam.
    Es ist Unrecht , dachte Iyen teilnahmslos. Er wollte es nicht mit ansehen, wenn es gleich weitergehen sollte, obwohl er selbst schon mehr als einmal einem Mann die Genitalien mit Nadeln gespickt oder ihn so lange mit wohldosierten Peitschenhieben bedacht hatte, bis der Gefangene alles sagte, was er wusste.
    Er hält uns kein Geheimnis vor. Er kann nicht selbst bestimmen, wann die Folter endet, indem er verrät, was er schützen wollte. Es ist Unrecht, ihn so sehr zu quälen.
    Da waren sie wieder, die Gedanken über Sinn, Recht und Gerechtigkeit, die Iyen nicht in Ruhe ließen, ewiges Denken und Analysieren, wofür man ihn in seiner Kindheit immer wieder bestraft hatte, bis er lernte, es nicht mehr offenbar werden zu lassen. Er setzte sich ans Feuer zurück und mühte sich, seinen Geist vollkommen zu leeren. Ein Oshanta fragte nicht nach dem Sinn seines Daseins, seines Auftrages oder sonst irgendetwas, was in dieser Welt geschah. Er gehorchte dem Ranghöheren, führte aus, was von ihm verlangt wurde und hielt sich an die Gesetze der Bruderschaft. Mehr nicht. Wobei es keinerlei Brüderlichkeit unter ihnen gab.
    Warum war er trotzdem wütend?
    Iyen riskierte einen Blick zu Rouven. Der junge Mann starrte ins Leere, weder wirklich wach noch ohnmächtig. Blut sickerte über seine Schultern, vermutlich von den Schnittverletzungen auf seinem Rücken. Iyen konnte nicht erkennen, wie schwer die Wunden sein mochten.
    Eine Mücke ließ sich auf dem Arm des Jungen nieder. Iyen starrte auf das Insekt, kämpfte gegen den Impuls, es zu erschlagen, damit es Rouven nicht noch mehr Schmerz zufügen konnte, so lächerlich ein Mückenstich im Vergleich zu der erlittenen Folter auch sein mochte. Etwas an dieser Erkenntnis wühlte ihn auf.
    Ich hätte nicht fortgehen dürfen , dachte er, überrascht von dem Zorn, der plötzlich in ihm kochte. Es ist Unrecht. Es ist gegen
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