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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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fehlgeschlagenen Auftrag berichten zu gehen. Er müsste ihn von hier forttragen, um ihn in Sicherheit bringen, aber das war undenkbar ... Oder? Iyen stockte der Atem bei diesem Gedanken.
    Es wäre unlogisch ... Ich würde alles verlieren ... Der einzige Weg ... Schon lange ... Es ist ...
    In seinem Kopf tobte ein Sturm, alles war Chaos und – Angst. Wann hatte er sich je ohne erkennbaren Grund gefürchtet?
    Eigentlich war es unwichtig, ob der Junge überlebte oder nicht, er wollte bereits seit Langem der Bruderschaft entfliehen. Der Sinnlosigkeit seines Daseins. Jetzt hatte er zumindest einen Grund, es zu versuchen.
    Noch einmal blickte er hoch zum Himmel, berechnete die Stunden, die ihm bei einer Flucht wahrscheinlich als Vorsprung bleiben würden, dann hinüber zu Bero und Jarne, hinab auf Rouven. Langsam stand er auf und packte seine Ausrüstung zusammen, plünderte ein wenig von den Vorräten seiner ehemaligen Kampfgefährten. Es war ausgeschlossen, sie im Schlaf zu erschlagen: Auch wenn ein Oshanta keine Freundschaft kannte, er fühlte eine gewisse Verbundenheit mit diesen Männern. Sie konnten nichts dafür, dass er, Iyen, von solch einem Wahnsinn befallen worden war. Er kniete neben ihnen nieder, lautlos und darauf bedacht, sie nicht zu wecken, zog von beiden je einen ihrer Dolche und steckte sie neben ihren Köpfen in den Boden. Das war eine Kriegserklärung, eine deutliche Nachricht: Ich hätte dich töten können und habe es nicht getan. Suche mich, ich fürchte dich nicht.
    Sie würden verstehen, was das bedeutete.
    Iyen bewegte sich ruhig, suchte ohne Hast alles zusammen, was er für die Flucht brauchen würde. Er nahm noch Kleidung für Rouven mit, wickelte den jungen Mann wieder in seine Decke und hob ihn auf sein Pferd. Ein letzter prüfender Blick. Dann war er bereit, sein Leben zurückzulassen.
     

 
    3.
     
    „Wenn die Ungleichen einander anziehen können, müssen sie von gleicher Natur sein.“
    Aus: „Weissagungen des Ebano“
     
    Rouven erwachte dadurch, dass er von irgendjemandem hin und her gerollt wurde. Er stöhnte, als ihm die Schmerzen bewusst wurden: Sein gesamter Körper schien in Flammen zu stehen. Hätte man ihm jetzt den Tod angeboten, hätte er sich freudig dafür bedankt.
    „Still“, befahl eine harte Stimme. Rouven erkannte sie, doch es dauerte noch einen schmerzlich langen Augenblick, bis er sich an das Gesicht des Oshanta erinnerte, der ihm geholfen hatte – und an all das, was davor und danach geschehen war. Panik flutete seine Adern. Rouven bäumte sich auf, wurde von starken Händen zurückgehalten. Er schrie, bis seine Stimme brach; ein Hustenkrampf schüttelte ihn durch, was die Panik nur noch mehr steigerte und ihn rasch zurück in den Abgrund der Ohnmacht stieß.
    Beim nächsten Erwachen war die Erinnerung sofort wieder da, die Schmerzen hingegen fort. Rouven versuchte die Augen zu öffnen. Sie gehorchten ihm nicht. Alles war von Nebeln umwoben ...
    Muss wohl ein starkes Schmerzmittel bekommen haben, dachte er distanziert. Aber hatte der Oshanta ihn nicht töten wollen? Was geschah mit ihm, warum schaukelte die Welt so sehr? Rouven driftete dahin, lauschte der Stille in sich, fern von Schmerz und Todesangst.
    Ich werde getragen , dachte er irgendwann zusammenhanglos. Lag er wieder auf dem Pferd? Wahrscheinlich. Also hatte der Oshanta ihn am Leben gelassen. Leben, um spätestens beim nächsten Sonnenuntergang unter den gierigen Händen der beiden anderen Attentäter zu sterben. Rouven dachte darüber nach, doch jedes Mal, wenn er versuchte zu verstehen, was das wirklich bedeutete und was genau es mit ihm zu tun hatte, trieben die Gedanken wieder fort wie Treibholz im Fluss.
    „Du musst trinken.“ Diese Stimme war wieder da, seine einzige Verbindung zur Außenwelt. Rouven fühlte kühle Feuchtigkeit auf der Zunge, es tat so gut. Wasser, es erfüllte wohltuend seinen Mund, der so schrecklich trocken und verquollen war. Schlucken hingegen war schwierig, es brachte die Schmerzen zurück, die Rouven so gerne vergessen hätte. Als wären die Schmerzen ebenso vertrocknet wie alles andere in ihm, um durch den ersten Tropfen köstlichen Wassers sofort wieder zu erwachen und aufzublühen.
    „Trink, sonst stirbst du! Sagtest du nicht, dass du leben willst?“
    Etwas klatschte. Sein Kopf flog zur Seite. Brennen.
    Rouven schluckte Wasser, das ihm unnachgiebig eingeflößt wurde, begriff dann im Nachhinein, dass der Oshanta ihm ins Gesicht geschlagen haben musste. Empörung
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