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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n)
Autoren: Josef H Reichholf
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verlieh ihm die Treviranus-Medaille für seine Leistungen als Naturwissenschaftler.
    Leider gibt es auf Deutsch kein gutes Wort für das, was die Engländer » naturalist« nennen: ein Mensch, der die Natur kennt, liebt und unentwegt zu ergründen versucht. Es würde gut auf Reichholf passen. Wie die Gelehrten des 19 . Jahrhunderts verengt er seinen Blick nicht auf ein kleines Spezialgebiet, sondern öffnet ihn weit, um das große Ganze zu sehen, die Partitur der Evolution.
    Als Kind streifte Reichholf barfuß durch die Auen am unteren Inn und schrieb seine Beobachtungen über Wasservögel in ein Heft. Diese Heimat hat er nie wirklich verlassen. In München, wo er an der Zoologischen Staatssammlung forschte und an der Technischen Universität lehrte, hatte er lange Zeit nur eine Arbeitswohnung und fuhr am Wochenende zurück nach Niederbayern.
    Dorthin, wo er aufgewachsen war und mit seinem Hund und einer gezähmten Krähe die Nachmittage am Innstausee verbrachte, zog es ihn immer wieder zurück. Die Insekten und Wasservögel dieser Landschaft waren seine ersten Studienobjekte. Seine Doktorarbeit verfasste er später über Wasserschmetterlinge. Nach der Emeritierung im Jahr 2010 zog es ihn wieder zurück in seine alte Heimat. Den leichten niederbayerischen Akzent hat er immer beibehalten.
    Nach dem Studium der Biologie, Chemie, Geografie und Tropenmedizin ermöglichte ihm ein Stipendium einen einjährigen Aufenthalt in Brasilien, wo er die tropische Artenvielfalt erkundet. Gemeinsam mit Ernst Josef Fittkau, dem früheren Leiter der Zoologischen Staatssammlung, geht er auf weiteren Brasilien-Expeditionen der Frage nach, warum gerade der tropische Regenwald eine so große Formenfülle hervorbringt. Die Antwort enthält eine der ersten ökologischen Überraschungen, auf die er stößt: Nicht etwa ein Überfluss an Nährstoffen führt zur Artenvielfalt, sondern der Mangel.
    Weil die Böden im Amazonas-Regenwald so karg sind, müssen sich Pflanzen und Tieren hoch spezialisieren, um jede noch so geringe Ressource auszunutzen. In Brasilien wird er auch Zeuge der Zerstörung und des Raubbaus, die bis heute weitergehen und ihm große Sorge bereiten. Um Flächen für die Landwirtschaft zu gewinnen, wird der Regenwald angezündet. Auf der Asche bauen Farmer Soja an, das nach Europa verschifft wird, um hierzulande Stalltiere zu mästen. » Unsere Schweine und Rinder fressen den Regenwald«, sagt Reichholf, » ein ökologisches Desaster.«
    Weil ihm dieser und viele andere Brennpunkte blinder Naturzerstörung keine Ruhe lassen, engagiert er sich für den Naturschutz, lange bevor grüne Themen in Mode kommen. Zusammen mit Bernhard Grzimek, Horst Stern und Hubert Weinzierl gründet er in München die » Gruppe Ökologie«. Sie wird zur Keimzelle des späteren Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und bringt in den frühen 1970 er Jahren die deutsche Umweltschutzbewegung auf den Weg. Viele Jahre engagiert er sich als Präsidiumsmitglied für den World Wide Fund for Nature (WWF).
    Als Naturschützer treibt ihn die Frage um, wie man die Vielfalt am besten bewahren kann. Und was die Ursachen des Artensterbens sind. Als einer der Ersten erkennt er, dass die meisten Verluste nicht auf das Konto der viel gescholtenen Industrie gehen, die in Europa und Nordamerika seit über dreißig Jahren immer sauberer wird. » Die Landwirtschaft ist mit Abstand die wichtigste Ursache für den Artenrückgang«, sagt Reichholf bereits in den frühen 1990 er Jahren, als diese Diagnose noch völlig abseitig klingt. Die Umweltverbände sind da weiterhin ganz auf rauchende Schlote und Giftbrühe aus Abwasserrohren fixiert. Doch die klassische Umweltverschmutzung wird immer geringer, und gleichwohl geht es vielen Pflanzen- und Tierarten nicht besser. Die Ursache, erklärt Reichholf, liegt in der Überdüngung der Böden. Mit Nährstoffreichtum kommen nur wenige Arten zurecht, weil die Evolution sich auf Mangel eingestellt hat. So blüht nur noch der Löwenzahn auf den Wiesen, die bunte Blumenvielfalt geht verloren und mit ihr Schmetterlinge und Vögel. Heute ist das ein ökologischer Gemeinplatz, damals war es eine Provokation.
    Zu einem Anhänger des Biolandbaus wird er jedoch nicht, sondern betrachtet die alternative Landwirtschaft genauso kritisch wie die konventionelle. Die altertümlichen Bio-Methoden sind seiner Ansicht nach oftmals sogar schlechter. » Der im Biolandbau verbotene Kunstdünger ist ökologisch vorteilhaft«, sagt Reichholf. »
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