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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab
Autoren: Helena Reich
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Wasser soll ich sehen?«
    Robin ignorierte den Sarkasmus und lachte.
    »Welches Wasser, fragt sie! DAS WASSER! Wir haben Hochwasser, Schätzchen. Tausendjähriges .« Robins Stimme war eingängig und fröhlich. Er hätte Radio- oder Synchronsprecher werden können mit dieser Stimme, stattdessen war er Feuerwehrmann, und das mit der Begeisterung des Abenteurers. Ihm sei es gegangen wie Grisu, dem kleinen Drachen, hatte er ihr einmal über einem Glas Port im Café Slávia erzählt. Wer gerne mit dem Feuer spielt, sollte am besten Feuerwehrmann werden. Larissa gefiel nicht nur Robins Stimme, der Rest war fast ebenso einnehmend. Robin erinnerte sie an ihre amerikanischen Kommilitonen in Pennsylvania. Groß, muskulös, fröhlich und immer ein perfekter Gentleman. Sogar im Suff. Ein angenehmer Unterschied zu ihren transatlantischen Studienkollegen.
    »Warte, ich muss nachsehen«, flüsterte sie heiser ins Telefon. Nach einer Packung Zigaretten am Abend zuvor wollte ihre Stimme noch nicht ganz mitmachen. Sie schälte sich aus dem Bett, zog sich ihren dunkelgrünen seidenen Kimono über und ging im Wohnzimmer ans Fenster. Der Blick, der sich ihr bot, sah nicht nach Weltuntergang aus und schon gar nicht nach Hochwasser. Vor ihr lag Prag in seiner ganzen Schönheit. Die Dächer der Kleinseite funkelten wie helle Karneole in den Strahlen der Morgensonne, der Laurenziberg gegenüber der Burg trug ein sattgrünes Kleid, aus den Baumwipfeln ragte der kleine Eiffelturm auf seiner Spitze auf, und die Burg selbst machte wie immer den besten Eindruck. Der Hradschin oberhalb der Moldau war vermutlich das meistfotografierte Gebäude in Prag. Aber das Panorama war auch wirklich großartig.
    Kein Wasser. Nirgends.
    »Kein Wasser. Siehst du Wasser?«, fragte sie zurück und räusperte sich. Mit halb geschlossenen Augen schlurfte sie zurück in ihr Bett und kuschelte sich unter die noch warme Decke.
    »Leider ja. Es fließt seit Stunden in die Stadt.«
    Wasser. Hochwasser . Endlich wichen die letzten Reste der bleiernen Schwere aus ihrem Hirn. Verdammt. Sie hatte das Spannendste verpennt. Wie von der Tarantel gestochen, sprang sie aus ihrem Bett. Gelobt sei die Welt für Robin. Er konnte ihre Lücken schließen.
    »Wo bist du eigentlich?«, wollte Larissa wissen, plötzlich hellwach. Sie lief zur Kommode hinüber und zog Unterwäsche und ein T-Shirt heraus. Er konnte unmöglich zu Hause sein. Alles, was Feuerwehrmann hieß, musste in der Stadt sein und retten, was zu retten war. Aus dem Schrank neben der Tür zum Flur holte sie eine hellblaue Jeans. Nach einem prüfenden Blick aus dem Fenster legte sie sie zurück und nahm eine leichte Baumwollhose heraus.
    »In der Altstadt, wir arbeiten an den Hochwasserbarrieren. Hab mir gerade eine Tasse lauwarmen Kaffee geschnappt und dich angerufen, damit unsere Starreporterin nicht die interessanteste Geschichte seit neunundachtzig verschläft.« Wieder lachte er.
    »Herzlichen Dank. Was ist mit der Metro?« Die Reporterin in ihr war endlich auch aufgewacht. Die Metro, hatte es geheißen, würde einem hundertjährigen Hochwasser auf jeden Fall standhalten. Aber Robin hatte von einem tausendjährigen gesprochen. Woher nahmen die eigentlich diese bizarren Vergleiche?
    »Ist voll wie eine Strandhaubitze, das Ding. Irgendwo war ein Leck, und wie’s aussieht, hat sich das Wasser in alle drei Tunnel ausgebreitet. In der Innenstadt fährt nichts. Aber sie schicken alle Straßenbahnen aus den Depots raus. Die Brücken sind auch gesperrt.«
    »Robin, du bist ein Goldstück. Ich muss mich anziehen und raus. Hast du irgendwann mal Pause?«
    »Wie schreibt sich das?«
    »Sag Bescheid, wenn es was Interessantes gibt. Und – danke!« Sie schickte dem Dank ein Küsschen hinterher und legte auf. Mit ihren Kleidern im Arm lief sie ins Bad.
     
    In den folgenden Tagen floss das Wasser langsam nach Norden ab, begleitet von einer Welle ungezügeltem sarkastischen Humor.
    »Mein Cousin«, hörte Larissa einen älteren Mann eines Abends im Slávia, dem berühmten Literaturcafé am Ufer der Moldau, erzählen, »mein Cousin also, hat ein Schrebergartenhäuschen an der Moldau, und nach dem Hochwasser ist er natürlich hingefahren, weil das Ding nah am Wasser steht. Und als er ankam, war sein neues Häuschen weg, einfach vom Wasser weggespült. Na, da hat er die Versicherung angerufen und die Sache erklärt, und die sagten, sie würden am nächsten Tag jemanden hinschicken. Er fährt also am nächsten Tag mit diesem Typen
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