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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt
Autoren: Anna Koschka
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Valentinstagsblumen, hart gewordenen Lebkuchenherzen, sauteuren Romantikhotels und billigen Anmachsprüchen. Und ich will keine Bücher, Filme oder Fernsehtalkshows mehr sehen, die aller Welt erklären, warum es trotz der ganzen Scheiße, die Frauen und Männer einander antun, erstrebenswert ist, in einer Beziehung zu sein.
    Mir fehlt nichts. Ich habe ein sehr gemütliches Dach über dem Kopf, ich arbeite in einem Traumjob, und mein größtes Problem ist, welches Buch aus dem Stapel ich als Nächstes lese. Und ich habe euch. Das …«
    »Das hast du schön gesagt!« Stellas dunkle Altstimme, die genauso klingt, wie Orange-Trüffel-Schokolade schmeckt, unterbricht mich. Ich beobachte amüsiert, wie sie sich ein Tränchen aus dem Augenwinkel wischt. Zu viel Sentimentalität führt bei Stella immer zu feuchten Augen. Ihr Herz ist riesiger und baufälliger als die Akropolis.
    »Und jetzt, Ladys, wird es Zeit für unser Geschenk«, verkündet sie, zieht eine kleine, schlichte Schatulle aus ihrer Handtasche und stellt sie in die Mitte des Tisches. Sie ist weiß und mit einem winzigen goldenen Herz verziert.
    »Für mich?«
    Stella nickt lächelnd.
    »Happy Birthday, Dotti!«
    Vorsichtig öffne ich den Verschluss, klappe die zierliche Box auf und stoße einen Begeisterungsschrei aus. Darin befindet sich eine hübsche silberne Armbanduhr mit digitalem Ziffernblatt, das aber seltsamerweise nicht nur die aktuelle Uhrzeit anzeigt, sondern darunter fünf Zahlen: 8–7–6–0–0.
    »Acht-sieben-sechs-null-null?«
    »Liebe Dotti«, sagt Stella feierlich. »In meiner Familie ist es Tradition, sich zu runden Geburtstagen eine Uhr zu schenken. Nicht
irgendeine
Uhr, versteht sich. Das hier ist eine Zehnjahresuhr, eine Art Countdown, der, einmal aktiviert, die Stunden der nächsten zehn Jahre runterzählt. Genau siebenundachtzigtausendsechshundert.«
    »Damit ich meinen vierzigsten Geburtstag immer vor Augen habe?«
    »Nein, so einfach ist das nicht. Diese Uhr ist dein Kompass.«
    »Wieso ein Kompass, ich denke, es ist eine Uhr?«
    Ich drehe das Geschenk vorsichtig zwischen den Fingern, als könnte mir eine verborgene Inschrift Auskunft über seine tiefere Bedeutung geben.
    »Es ist der Kompass für ein erfülltes Leben.«
    Stella macht eine dramatische Pause.
    »Pass gut auf, Dotti, das ist ein großes Geheimnis! Es wird von Generation zu Generation in der Familie Charydis überliefert und immer von Mutter zu Tochter weitergegeben. Alte griechische Familientradition, die auf Aristoteles zurückgeht.«
    »Hast du Aristoteles gesagt?«
    »Genau! Das Aristotelische Weltbild:
Die Erde
ist das Zentrum des Universums. Das Charydische Weltbild:
Du
bist das Zentrum des Universums. Klar? Und hier kommt unser Geschenk ins Spiel. Dieser Kompass ist noch ohne Richtung, wohin er zeigt, das musst du ergänzen.«
    »Und wie mache ich das?«
    »
Beads,
Dotti! Es funktioniert wie ein Bettelarmband. Du sammelst Anhänger, die du auf die Uhr aufziehst. Jeder Anhänger steht für ein Ziel, das du erreichen willst, für etwas, das dir wichtig ist und zu deinem erfüllten Leben gehört. Ist so ein
Bead
erst einmal aufgefädelt, wird er dich immer daran erinnern, was dich glücklich macht. Diese Anhänger weisen dir den Weg zum Glück. Sie sind deine Glücksrichtungen. Darum sollte man sie nicht leichtfertig auswählen.«
    Ich streiche mit dem Zeigefinger vorsichtig über das silberne Schmuckstück.
    »Und um dir auf die Sprünge zu helfen, haben wir uns gedacht, dass jede von uns dir ein Ziel schenkt. Margarita?«
    Rita nimmt die Uhr aus der Schatulle und fädelt einen winzigen, wunderhübsch gearbeiteten Turnschuh auf das Band.
    »Der alte Schuh. Ich weiß, wie wichtig dir deine Bequemlichkeit ist, Dotti. Schuhe müssen praktisch sein und gesund für die Füße. Aber du solltest sie auch manchmal ausziehen und barfuß über Steine laufen.«
    »Das tut doch höllisch weh«, beklage ich mich.
    »Aber es ist gut für die Durchblutung.«
    Rita zwinkert und gibt die Uhr an Christine weiter, die eine Silberperle mit dem Relief eines Baumes daran befestigt. Ich habe so einen Verdacht, dass mein Weg zum Glück durch jede Menge unwegsames Gelände führen wird.
    »Der Baum des Lebens. Du bist niemand, der bunte Blüten in die Sonne reckt, Dotti, sondern du ziehst die Kraft aus deinen Wurzeln und wächst schnurstracks nach oben. Der Baum wird dich daran erinnern, dass du auch mal Blüten treiben und dich bewundern lassen sollst.«
    »Ich steck mir nächstes Mal
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