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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt
Autoren: Anna Koschka
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Buchpremieren, treffe Autoren zu Interviews, schreibe wöchentlich acht bis zehn Rezensionen, von denen es vier, fünf auf die begehrten Plätze im
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schaffen. Ich lese die Besprechungen aller Tageszeitungen, auch international, und finde den überwiegenden Teil dieser Tätigkeiten verflucht großartig. Kündigung ist also keine Option. Internetdating ebenfalls nicht. Dating generell nicht. Schöne Scheiße.
    Zur Beruhigung strecke ich die Beine aus, bewege meine Zehen auf und ab und liste gedanklich die Namen der Autoren aller Bücher in meinem Bücherregal in alphabetischer Reihenfolge auf. Fast kann ich die Mischung aus Leinen, Karton, Papier und Druckerschwärze riechen. Bei meinen Lieblingsgeschichten halte ich kurz inne und versammle sie um mich wie die Ritter der Tafelrunde. Dabei tasten meine Finger automatisch nach der Uhr an meinem Handgelenk und bleiben an dem winzigen Silberbuch hängen. Ich wünschte, ich wäre selbst eine Figur in einer Geschichte. Romanhelden fehlt es nie an Worten, wenn sie es mit hinterhältigen Chefinnen und unlösbaren Aufgaben zu tun haben.
    Gerade werde ich ein wenig ruhiger, da reißt mich penetrantes Telefonklingeln aus meinen Tagträumen.
    »Wilcek?«
    »Gnädige Frau, wie gut, dass ich Sie persönlich erreiche. Ich wollte mich erkundigen, ob mein Rezensionsexemplar wohlbehalten bei Ihnen eingetroffen ist.«
    Das auch noch! Autoren, die einen regelmäßig mit Anrufen traktieren, gehören zum Rezensentenalltag. Aber diese gestelzten Formulierungen in Kombination mit dem nasalen Tonfall hören sich verdächtig an nach …
    »Glahnz, Florian, mit stummem H, hilft das Ihrer Erinnerung auf die Sprünge? Wir haben uns vorige Woche fernmündlich über meinen neuen Roman unterhalten.
Amors Feder.
Hatten Sie seither Gelegenheit, einen geschätzten Blick hineinzuwerfen?«
    Ich schiele zu dem Turm ungelesener Bücher, der an der einzigen regalfreien Wand emporragt. In dessen oberstem Drittel findet sich Glahnz’ Machwerk, in Gesellschaft ähnlich schmalziger in Pastell gebundener Liebesschnulzen mit lachhaften Titeln, die ich für gewöhnlich entweder ignoriere, meiner Mutter schenke, oder, wenn eine Besprechung absolut unumgänglich ist, an Katharina weiterreiche.
    Schon vor Jahren wurde bei mir eine schwere Romantikallergie festgestellt. Mangels Impfstoff schwillt meine Galle in Reichweite schmachtender Paare auf Melonengröße an.
    Sind Küsse, freie Oberkörper oder übernatürliche Wesen involviert, kann es auch zu garstig juckenden Hautausschlägen kommen. Dabei weine ich dicke Krokodilstränen, wenn zwei sich trennen, einer stirbt und der andere vor Sehnsucht vergeht. Ich habe nichts gegen ein gutes Ende. Solange es nicht Happy ist, ist alles im grünen Bereich.
    »Herr Glahnz …«
    »Das H ist stumm.«
    »Sagte ich ja.«
    »Werte Frau Wilcek, Ihr H habe ich selbst durch die Telefonleitung deutlich gehört.«
    »Das ist nicht möglich, oder wollen Sie mir unterstellen, dass ich nicht weiß, wie man ein stummes H
nicht
ausspricht?«
    »Sie haben es nicht ausgesprochen, aber Sie haben es gedacht. Ganz laut. Und mit einer Spur Verachtung, wenn ich das anmerken darf.«
    Ich bin kurz davor, den Telefonhörer in irgendeinen Haufen stummer Hs zu pfeffern, als es zaghaft an meiner Tür klopft.
    »Ja!?«
    »Ich bin froh, dass Sie mir zustimmen.«
    Lorenz’ Kopf erscheint im Türspalt.
    Störe ich?,
lese ich von seinen Lippen ab.
    »Nein.«
    Ich winke ihn herein.
    »Sie widersprechen sich. Das ist gut. Widerspruch ist wertvoller als Zustimmung, weil es so eine Diskussionsbasis gibt.«
    »Herr Glahnz …«
    »Sehen Sie! Das war schon viel besser. Das war ein nahezu perfektes stummes H. Vielleicht haben Sie einmal Zeit für …«
    Den Rest höre ich nicht mehr, denn Lorenz, der sich mit seinen langen Spinnenbeinen abmüht, über die Post- und Buchstapel in meinem Büro zu steigen, bringt dabei den höchsten Stapel zum Einstürzen, wobei er das Telefonkabel mit sich reißt und das Gerät von meinem Schreibtisch fegt.
    Den Hörer noch in der rechten Hand, versuche ich mit der Linken verzweifelt, weitere Stapeleinstürze zu verhindern, während Lorenz, Entschuldigungen stammelnd, die Yucca-Palme in Sicherheit bringt. Willkommen im Leben der Dotti Wilcek.
    »Was willst du?«
    Lorenz schlängelt sich neben mich und benutzt einen der verbliebenen Buchstapel (die Regionalkrimis) als Sitzgelegenheit.
    »Äh, sorry, Dotti, die Loos schickt mich, ich soll dir die Features des Datingnetworks
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