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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt
Autoren: Anna Koschka
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ein Gänseblümchen ins Haar, einverstanden?«
    Fasziniert beobachte ich, wie Miki die Uhr übernimmt und ein detailgetreues Riesenrad einfädelt. Das Rad ist beweglich und lässt sich drehen. Mein Herz klopft schneller.
    »Nur du und ich wissen, was das Riesenrad bedeutet und welches Ziel ich dir setze.«
    Lächelnd gibt sie Stella die Uhr, die dem Band ebenfalls etwas hinzufügt. Es ist ein winziger, wunderhübscher Vogel.
    »Das ist ein Symbol aus meiner griechischen Heimat. Altair, der Adler des Zeus, der leuchtende Stern am Sommerhimmel. Er lässt dich dein Ziel im Auge behalten, egal, wie weit du vom Kurs abkommst.«
    Ich berühre den Silbervogel mit dem Zeigefinger und höre das Geräusch eines Schiffsbugs, der durch das Wasser pflügt. So einen zielbewussten Vogel hätte ich damals sehr gut brauchen können.
    Zuletzt hängt Katharina ein kleines aufgeschlagenes Silberbuch an die Uhr. Ich muss lächeln. Neben Chai Latte, Piccolini-Pizzen und Filmen mit James Dean sind Bücher ihre und meine größte Leidenschaft.
    »Du hattest deine Nase immer am tiefsten in den Büchern, Dotti. Das haben wir gemeinsam: Wir leben gern in Geschichten. Ich schenke dir diesen
Bead,
damit du hin und wieder daran denkst, dass auch dein Leben eine abenteuerliche Geschichte ist. Und du selbst sie schreibst.«
    Katharina nimmt meine Hand und legt mir die Uhr an. Eine leichte Gänsehaut überzieht meine Arme, so bewusst wird mir plötzlich dieser Moment mit meinen Freundinnen.
    »Du musst den Knopf an der Seite drücken.«
    »Was?«
    Stella deutet auf einen kleinen Druckknopf seitlich am Ziffernblatt.
    »Um den Countdown zu aktivieren. Deine zehn Jahre.«
    Ich zögere.
    »Was passiert, wenn ich meine Ziele nicht erreiche?«
    »Das musst du Aristoteles fragen. Oder die griechischen Götter.«
    »Red nicht so einen Quatsch!« Rita stupst Stella in die Seite.
    »Entschuldigung …«
    Der Anzugtyp steht plötzlich neben unserem Tisch und blickt mir tief in die Augen.
    »Ich wollte die ganze Zeit schon etwas sagen, aber ich habe mich nicht getraut.«
    Rita zieht hörbar die Luft ein und verschwindet hinter ihrer Serviette. Aus der Nähe betrachtet, sieht er wirklich verdammt gut aus, mit adrettem Seitenscheitel und einer perfekt gewählten Krawatte, die die bernsteinfarbenen Sprenkel in seinen großen, grünen Augen gut zur Geltung bringt.
    »Darf ich?«
    Er greift nach meiner Hand, hält sie sanft und streicht mit Kennerblick über mein Handgelenk. Ich spüre, wie meine Wangen bei der Berührung heiß werden. Das muss das scharfe Essen sein. Ich vertrage kein Thai-Curry.
    »Ein ganz entzückendes Ührchen. Reizend«, säuselt er, winkt uns kokett zu und tänzelt dann mit perfektem Hüftschwung aus dem Lokal – wie Bully Herbig als rosafarbener Indianer.
    Rita starrt ihm nach, die Serviette immer noch an den Mund gepresst.
    »Sag ich doch!«
    Wir brechen gleichzeitig in Gelächter aus. Stellas Alt dröhnt so laut, dass die Gäste an den anderen Tischen irritiert zu uns herübersehen.
    »Das war … episch!«, japst Christine, und selbst Miki kichert lautstark. Plötzlich weiß ich, dass ich gar keinen Plan brauche. Ich habe Freundinnen. Und Ziele. Ohne weiter zu zögern, drücke ich den Knopf an meiner Uhr.
    Der Countdown läuft.

[home]
    26410 Stunden später
    Montag, 3 . Oktober
    »Nein.«
    Kurz, knapp und präzise.
    Mit einer Entscheidungsfrage, auch Ja-Nein-Frage genannt, möchte die fragende Person von ihrem Gesprächspartner eine Zustimmung oder eine Ablehnung erhalten. Das Verb steht immer auf Position eins, das Subjekt auf Position zwei.
    Das Subjekt bin ich, Dorothy Wilcek, alias Dotti, und weil ich weder mit dem Verb noch mit dem aktuellen Verlauf der Redaktionssitzung einverstanden bin, folgt unweigerlich die Ergänzungsfrage:
    »Und
warum
nicht, wenn ich fragen darf, Frau Wilcek?«
    Ich suche verzweifelt nach der Antwort, nach einem Verb, das dem Eröffnungsnein eine Erklärung hinzufügt, aber mir fällt keines ein.
    Mein Gegenüber mustert mich aus hellblauen Augen, die irgendwo in einer zu dicken Pampe aus Make-up, Concealer, Kompaktpuder, Lidschatten, Wimperntusche und Kajal versteckt liegen. Bei so viel Farbfreude könnte die Frau glatt für Givenchy Werbung machen oder alternativ hinter Glas im Museum hängen.
    Erste Anzeichen von Panik machen sich in meinem Kopf bemerkbar. Andere nennen es Kopfweh, ich sage
Dottis Vorwarnmigräne
dazu. Prompt pocht es gefährlich in meinen Schläfen. Ich wusste es! Ich wusste, dass
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