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Naschmarkt

Naschmarkt

Titel: Naschmarkt
Autoren: Anna Koschka
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dass das Wasser kocht, kommt es mir beinahe so vor, als hörte ich das ersehnte Geräusch einer Computertastatur, auf der heftig getippt wird. Diagnose: Inspirationsmangel. Ist es vorstellbar, bereits nach wenigen Stunden solch fortgeschrittene Halluzinationen zu haben? Ist das normal? Oder ist es eventuell …?
    So schnell ich kann, und möglichst lautlos, schleiche ich zurück ins Wohnzimmer, stolpere dabei fast über meine Leselotte, fluche innerlich und gehe hinter dem Raumteiler in Deckung. Tatsächlich. Da sitzt er, auf der Couch, vor dem Computer, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt, als würde er mit exorbitanter Missbilligung den Text studieren, den er soeben in übergroßem Arbeitseifer in die Tasten gehämmert hat.
    Er macht sich über mich lustig. Er will mir eindeutig zu verstehen geben, dass selbst er mit seiner weitaus unpraktischeren physischen Konstitution fähig ist, läppische dreihundert Wörter zu jedem beliebigen Thema zu finden.
Leicht.
    Die Überlegenheit verleiht ihm eine Aura gelassener, in sich ruhender Intellektualität.
    So nicht, mein Herr! Nicht mit Dotti Wilcek. Vorsichtig, um nur ja keinen Laut zu verursachen, rutsche ich auf Händen und Knien vorwärts, bis ich meine unachtsam in die Ecke gepfefferte Handtasche erreiche. Hat er es bemerkt? Im Profil kann ich es nicht erkennen. Es ist möglich, dass er den Kopf ein wenig schief gelegt hat. Sonst keine Bewegung. Ein Täuschungsmanöver? Will er mich in Sicherheit wiegen, um mir dann, wie so oft, im letzten Moment triumphierend einen Strich durch die Rechnung zu machen? Aber nicht heute. Heute gewinne ich.
    Es gelingt mir, geräuschlos die
Waffe
aus der Tasche zu fischen. Langsam lege ich an, das rechte Auge zugekniffen, und ziele, die Lippen aufeinandergepresst. Im Sucher beobachte ich, wie er sich wieder an der Tastatur zu schaffen macht. Tipp, tipp, tipp.
    Perfekt, so könnte es klappen. Meine Hände zittern, und ich halte den Atem an. Ruhig, Dotti, ruhig. Innerlich bis drei zählen. Los! Eins – tipp – zwei – tipp, tipp – Dr… Mist!
    Genau in dem Moment, als ich abdrücke, im Sekundenbruchteil, den es braucht, damit der Auslöser auf die Bewegung meines Fingers reagiert, hebt der Kater den Kopf, sieht mit riesengroßen Augen in meine Richtung und nimmt Reißaus. Auf dem Handydisplay ist das Übliche zu sehen: Meine weinrote Couch mit dem weißen Computer, und im Vordergrund ein verwischtes, schwarzes Etwas, das gerade noch das perfekte Katzenfoto war. Ich fasse es nicht.
    Drei Jahre lang will ich mich schon um eine Seite im
Literarischen Katzenkalender
bewerben, mindestens siebenhundert Anläufe habe ich gestartet, aber der Kater ist immer schneller.
    Mit einem frustrierten Aufschrei springe ich auf, umrunde den Raumteiler und werfe das iPhone auf die Couch. Es federt einmal ab und landet in dem schmalen Spalt zwischen dem Möbelstück und der Wand, wo es in dem Moment zu vibrieren beginnt. Das ist eindeutig nicht mein Tag.
    Der Kater, der sich nach dem ersten Schreck in sicherer Entfernung bei idealer Beleuchtung malerisch auf dem Fenstersims drapiert hat, blinzelt mich an. Der Punkt geht an ihn.
    Ich wollte nie Tiere. Haustiere bringen alles durcheinander. Sie sind unberechenbar, eigensinnig und sorgen für Kuddelmuddel in jedem System. Ich habe die ersten drei Jahrzehnte meines Lebens glücklich ohne das Chaos gelebt. Dann kam Neko, und seither ist mir die Perfektion abhandengekommen. Ich frage mich bis heute, ob der Kompass dabei den Zeiger im Spiel hatte. Denn gleich am Sonntag nach meinem dreißigsten Geburtstag, morgens, als ich gerade den Pflaumenweinrausch ausgeschlafen hatte, klingelte das Schicksal in Form meiner Mutter an der Tür.
    »
Happy Birthday,
Dotti!«
    Freudestrahlend stand sie vor meiner Wohnung, ein kleines Körbchen in den Armen, aus dessen Innerem mich zwei schmale Augenschlitze anvisierten.
    »Was ist das?«, fragte ich.
    »Das ist dein neues
Babykitty, Darling
«, antwortete meine Mutter, die ihre englische Herkunft selbst nach über dreißig Jahren in Wien nicht verleugnen kann. Es ist nicht so, dass sie die deutschen Vokabeln nicht kennt, doch sie sähe es als gravierenden Identitätsverlust an, diese auch zu benutzen.
    »Ich sehe, dass das eine Katze ist«, sagte ich ungeduldig, »aber was soll ich damit?«
    Meine Mutter griff sofort zu ihrer Geheimwaffe. Man muss dazu sagen, dass sie, wie ich, eine sehr kleine, zarte Frau mit zum Kullern neigenden, großen, grünen Augen ist. Die
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