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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman
Autoren: Franziska Dalinger
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der Kälte und meine Augen tränen, aber wir trauen uns nicht, diese Aktion in der überdachten Passage durchzuführen. Am Ende ruft noch eine Verkäuferin die Polizei, und das können wir gar nicht gebrauchen. Schließlich sind wir bei denen kein unbeschriebenes Blatt.
    »Oh doch, wird sie. Die wartet nur darauf, dass eine Model-Agentur auf sie zukommt und ihr sagt, dass sie die schönste kleine Dicke ist, die die Welt je gesehen hat.«
    »Ich glaube, mir reicht es im Moment. Mir ist kalt und ich hab Hunger.«
    Mandy nickt. »Ein Salat?«
    »Leute aus einer Model-Agentur essen ganz bestimmt keinen Salat«, widerspreche ich. »Und wenn, dann einen richtig fetten mit Mayo und Schinken. Auf keinen Fall wollen sie mit den Models verwechselt werden, die sich durch die Türritzen und Schlüssellöcher quetschen.«
    Mandy denkt darüber nach. »Da könnte was dran sein. Also ein Sandwich oder so was?«
    Damit erkläre ich mich gnädigerweise einverstanden. Wir bestellen uns ein dick belegtes Baguette mit Soße und Tomaten und allem, was zwischen zwei Brothälften passt, und beobachten die Leute. Wer würde auf solche wie uns reinfallen? Wir machen das noch nicht lange genug, um es mit Gewissheit zu sagen, aber mittlerweile können wir es immer besser abschätzen. Jeder dritte oder vierte, den wir ansprechen, reagiert erfreut, so, als hätte er das große Los gezogen. Alle diese Leute werden zu Hause davon schwärmen, dass sie bald groß rauskommen.
    »Wer weiß, vielleicht traut sich ja dieser Patrick von vorhin endlich mal, seine hübsche Nachbarin anzusprechen«, denke ich laut.
    »Er hat eine hübsche Nachbarin?«
    »Klar«, spinne ich weiter. »Hat die nicht jeder? Er ist seit fünf Jahren in die verknallt. Aber jetzt – als Model! Jetzt endlich wird er sich an sie ranschmeißen.«
    Mandy verschluckt sich fast vor Lachen. »Oh Gott, Messie. Deine Fantasie möchte ich haben.«
    Zugegeben, das Ganze war meine Idee. Da Mandy schnell langweilig wird – und ich ständig insgeheim die Befürchtung habe,
ich
könnte ihr zu langweilig werden –, musste ich mir unbedingt etwas einfallen lassen, um unsere Freundschaft zu retten. Es durfte natürlich nichts Kriminelles sein. Wir haben beide gelernt, dass Erpressung ein recht gefährlicher Zeitvertreib sein kann. Ich jedenfalls will nie wieder in irgendetwas Illegales verwickelt werden. Was wir hier abziehen, ist wohl nicht besonders brav, aber es gibt kein Gesetz dagegen, sich auf zehn Jahre älter zu schminken, mütterliche Klamotten auszuleihen (die von Mandys Mutter natürlich, meine hat nichts im Kleiderschrank, was auch nur annähernd schick genug wäre, um als Model-Scout durchzugehen), und in der Fußgängerzone Leute zu verschaukeln.
    »Der hätte uns auch hundert Euro bezahlt, damit wir seinen Namen in unsere Kartei aufnehmen, wetten? Wer wäre nicht gerne bei Miller und Johannsson in der Kartei? Das Sprungbrett für Ihre Karriere!«
    Ich werfe Mandy einen Blick zu. So einen Nimm-dich-in-Acht-Blick. Sie versteht sofort.
    »Ich meine ja nur.«
    »Das wäre Betrug«, sage ich. »So ist es bloß Spaß. Ich dachte, wir wären uns da einig, dass wir den Leuten kein Geld abknöpfen.«
    »Ja, ist ja schon gut. Krieg dich wieder ein.« Sie grinst. »Aber diese eine Schwarzhaarige, am Anfang, dass die sogar ihre Jacke ausgezogen und mir zum Halten gegeben hat, mit Portemonnaie drin und allem! Was hätte die wohl gemacht, wenn wir einfach damit abgehauen wären? Die ersten paar Meter bis zum Brunnen hat sie sich kein einziges Mal umgeschaut.«
    Kaum zu fassen, wie leichtgläubig manche Menschen sind. Wie vertrauensselig.
    »So was machen wir aber nicht«, sage ich streng, denn Mandy hätte nicht das moralische Problem, mal das eine oder andere mitgehen zu lassen.
    Früher hätte ich mich nie getraut, so mit ihr zu reden. Ihr klipp und klar meine Meinung zu sagen. Ich hatte solche Angst, dass sie dann nichts mehr mit mir zu tun haben will. Aber mittlerweile hat unsere Freundschaft schon so einiges überstanden, und ich trau mich immer mehr. Dass ich trotzdem immer noch Angst habe, sie könnte mit interessanteren Leuten rumhängen ... tja, so bin ich nun mal. Ich fühle mich eigentlich nie sicher. Nie so, als könnte ich mich zurücklehnen und alles läuft von selbst. Das ist wie in der Schule – alle paar Wochen kommt die nächste Arbeit, der nächste Test, und dann nützt es einem nichts, dass man im letzten eine Zwei hatte. Kann sein, dass ich da ein wenig verkrampft bin.
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