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Narzissen und Chilipralinen - Roman

Narzissen und Chilipralinen - Roman

Titel: Narzissen und Chilipralinen - Roman
Autoren: Franziska Dalinger
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dreht die Heizung höher.
    Dass er überhaupt nicht fragt, habe ich auch nicht erwartet. »Bin ausgerutscht. Da vorne auf dem Parkplatz ist es glatt«, sage ich.
    Und mein Papa, der liebe, herzensgute Pastor Manfred Weynard, glaubt mir das sofort, denn er kann sich nicht vorstellen, warum irgendjemand lügen sollte, wenn er genauso gut die Wahrheit sagen kann.
    Als ich vom Bad in mein Zimmer wanke, müde und nicht so ganz bei mir, sehe ich Licht in Tabitas Zimmer. Müsste sie nicht schon längst schlafen? Leise drücke ich die Klinke runter.
    Im Schein der Nachttischlampe liest meine Schwester ein dickes Buch. Sie liegt auf dem Bauch und kaut so konzentriert auf einer Haarsträhne herum, dass sie mich gar nicht wahrnimmt. Beim Umblättern raschelt die Seite.
    »Hey, Tabby«, flüstere ich, »weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
    »Wie war die Party?«, fragt sie, ohne aufzusehen.
    »Leg endlich das Buch weg. Du musst schlafen.«
    »Kümmere dich um deinen eigenen Kram«, gibt sie zurück und liest einfach weiter.
    Ich betrachte Tabita einen Moment. Ihr Haar glänzt im Licht. Unter der Bettdecke zeigen sich die Umrisse ihres schmalen Körpers.
    Fast ehrfürchtig schließe ich die Tür wieder und tappe in mein eigenes Zimmer. Auf einmal ist es nicht mehr selbstverständlich, dass ich eine Schwester habe. Das ist ein beunruhigender Gedanke, der mich nicht besonders gut schlafen lässt, und jedes Mal, wenn ich aufschrecke, springt mir ein Satz auf die Lippen. Ich spreche ihn nicht laut aus, aber in meinem Inneren hört es sich an wie ein Hilfeschrei: Bitte, Gott, bitte, mach Sarah gesund ...
    Ich weiß, dass Daniel auch nicht schlafen kann, dass er ebenfalls in seinem Bett liegt und betet, und so beten wir denn doch zusammen. Heute Nachmittag wusste ich nicht, wie ich anfangen sollte, jetzt weiß ich nicht, wie ich aufhören könnte.

3.
    An diesem Donnerstagabend ist es mal wieder rappelvoll. Michael, den ich wegen seiner annähernd zwei Meter Körpergröße heimlich Goliath nenne, schleppt noch ein paar Stühle herbei. Im Gegensatz zu Bastians Leibwächtern sieht Michael allerdings nicht nach einem riesenhaften Krieger aus, sondern eher etwas schwächlich – lang und dünn, und sein witziges Ziegenbärtchen macht ihn sympathisch statt furchteinflößend. Daniel hilft ihm mit den Stühlen, dann bemerkt er mich und begrüßt mich freudestrahlend, als sei nichts gewesen. Als wäre er nicht schuld daran, dass ich ohne ihn auf eine Party gegangen und im Schnee gelandet bin, dass ich um ein Haar Tom geküsst hätte und fast von Kim verprügelt worden wäre. Nein, Daniel hat absolut keine Ahnung, warum ich nicht zurücklächle.
    »Hey«, sagt er leise.
    Wir haben uns die ganze Woche über nicht gesehen. Er hat gebüffelt, ich auch, und irgendwie habe ich es nicht über mich gebracht, ihn anzurufen. Hoffentlich fragt er mich nicht, wie es mir geht. Da stürmt Basti dazu und legt jedem von uns einen Arm um die Schulter.
    »Jetzt geht’s los!«, ruft er. »Ich hab mir heute das Thema gewünscht.«
    Unglaublich, wie dieser Junge sich über eine Bibelarbeit freuen kann. Und dann auch noch die Hochzeit zu Kana. Ich stöhne innerlich. Die Geschichte gehört zu den langweiligsten überhaupt, einfach, weil ich sie schon gefühlte tausend Mal gehört hab. Vielleicht bloß noch getoppt vom Barmherzigen Samariter. Jesus kommt auf eine Hochzeit, seine Mutter erzählt ihm, dass es keinen Wein mehr gibt, und – oh Wunder! – Jesus macht aus Wasser Wein.
    Kenne ich schon alles. Schade eigentlich, dass es die Bibel nicht als Fortsetzungsroman gibt. Jede Woche eine neue Folge, die noch nie jemand gelesen hat. Das wär spannend!
    Aber Bastian sieht das anders. Seine Augen leuchten. »Mann, das ist so krass«, findet er. »Wein! Das hätte ich nicht gedacht von Jesus. Er macht nicht aus Wein Wasser, damit die alle nicht so viel trinken und sich die Kante geben. Sondern aus Wasser Wein!«
    »Nun, es gibt ja auch Christen, die sich ebenfalls gern
die Kante geben«
, sagt Tine und richtet ihren missbilligenden Blick auf mich. Bei ihr klingt es, als würde sie die Wörter unterstreichen. Oder in Anführungszeichen setzen oder mit Großbuchstaben. »Was man so hört.«
    Ich erschrecke, als alle mich plötzlich anstarren. Was soll das denn jetzt?
    »Wie meinst du das?«, erkundigt sich Michael.
    »Ich glaube nicht, dass Jesus wollte, dass wir uns betrinken, wo wir doch als Christen Vorbilder sein müssen«, sagt sie.
    Ich versteh nur Bahnhof.
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