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Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Titel: Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Autoren: Anni Bürkl
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Grauen weiter leben können? Mit all den tausenden kleinen Dingen, mit der überstandenen Lebensgefahr? Das fragte sie sich an diesem Tag nicht zum ersten Mal. Was tun, außer weiter zu leben und das Beste daraus zu machen, aus jedem neuen Tag? Das alles war ihre Geschichte. Mit 38 hatte man so manches erlebt, war kein unbeschriebenes Blatt mehr. Letztlich konnte sie sich nur selbst heilen, auch das wusste sie mittlerweile. Kein Psychologe und kein Guru dieser Welt konnten das für sie tun … das hatte sie erkannt, bei aller Hilfe, die sie bekommen konnte. Leben musste sie selbst.
    Das Gepolter der Nichten, die mit dem Gepäck hantierten, brachte Berenike in die Gegenwart zurück. Sinnierend blickte sie ins Tal. Wie sehr sie es genoss, hier zu leben! Dort unten schlummerte der See, geheimnisvoll wie immer. Mit Schnee überzuckert die Trisselwand, daneben Tressenstein und Plattenkogel. Kein Vergleich zum ewig nebligen, winterlichen Wien, in dem oft wochenlang keine Sonne schien. Dort, wo die Menschen so grau aussahen wie Himmel und Hausfassaden.
    »Servus, Franz!« Berenike schüttelte dem Wirt die Hand. Vor der Hütte ging automatisch Licht an, sodass sie zwar alle Gepäckstücke leicht finden konnten, aber momentan geblendet wurden. Scherzhaft hielt sich Jenny eine Hand über die Augen, als schiene statt der Lampe Sonnenlicht.
    »Kommt’s rein!« Franz stellte die Schaufel weg und hielt ihnen die Tür auf. Amélie und Jenny stapften voraus, die anderen folgten ihnen. Der Schnee knirschte unter den Sohlen, wo er schon niedergetrampelt war. Von irgendwo brachte das Echo ein leises Lachen zu ihnen.
    »Kalt, gell?« Der Wirt sah die Erwachsenen fragend an. »Wollt’s einen Jagatee? Der wärmt von innen!«
    Rose bekam bei der Erwähnung des rumhaltigen Getränks ein Glitzern in den Augen, aber Berenike sagte schnell: »Danke, vielleicht später.«
     
    Drinnen roch es nach Almhütte und nach Küche, und ein wenig nach Zimt. An einem kleinen Empfang reichte ihnen Franz die Schlüssel.
    »Die Zimmer liegen im Erdgeschoss. An der Treppe vorbei links und dann geradeaus. Frühstück gibt’s an den Feiertagen von 8 bis 11 Uhr. Dann wünsche ich einen schönen Aufenthalt und ein frohes Fest.« Der Wirt zwinkerte Berenike zu.
    Während sie hintereinander mit Sack und Pack durch die verwinkelten Gänge marschierten – hier war wohl über die Jahre immer wieder angebaut worden – drang schallendes Gelächter zu ihnen, ohne dass sie die Lachenden zu Gesicht bekommen hätten.
     
    Wenig später fanden sie sich in der Gaststube ein. Die Abendkarte war klein und fleischlastig, aber das war Berenike leider gewöhnt. Dafür war die Unterhaltung einigermaßen in Ordnung. Berenike beschloss, den Frieden einfach mal zu genießen, die Familie zu nehmen, wie sie war, das Zusammensein.
    Den Jagatee roch man schon, ehe Franz damit vor ihrem Tisch angekommen war. Rose Roither griff mit einer raschen Handbewegung nach einer der großen, mit springenden Hirschen bemalten Tassen. Franz zwinkerte erst Berenike, dann Selene zu: »Wollt’s ein bissl ein’ Schuss hinein?« Er roch irgendwie gut, der Franz, wie er so abwartend neben dem Tisch stand. Nach frischer Luft und guter Laune. Sowas steckte an.
    »Ein Schuss, ja? Das klingt aber gefährlich«, kicherte Jenny.
    »Ist ganz harmlos«, winkte Franz ab.
    »Danke, nein, für mich passt’s so«, lehnte Berenike ab. Die Mutter sah enttäuscht drein.
    Nach und nach füllten sich die Tische. Franz hatte trotz des Weihnachtsabends gut zu tun und wurde von einer jungen Kellnerin unterstützt, die dem Andrang nicht ganz gewachsen zu sein schien. Sie bestellten steirischen Weißwein, der außerordentlich gut schmeckte, und die Nichten steckten alle an mit ihren Albernheiten. Kleine Geschenke wurden ausgetauscht. Selene schnupperte an dem Rosenblüten-Tee, den Berenike für sie ausgesucht hatte. Die Mutter legte ihr Döschen, kaum ausgepackt, zur Seite, und erzählte etwas von einer früheren Schulkollegin Berenikes, die bei einer Bank Karriere gemacht habe. »Immer trägt sie die edelsten Kostüme«, schwärmte Rose. Berenike konnte sich an das Aussehen des Mädchens kaum erinnern und nickte nur. Die Nichten raschelten mit den Verpackungen in lindgrün und rot und rupften sie mit raschen Bewegungen weg, drehten die überreichten Jugendkrimis kurz in ihren Händen, ohne sie aufzuschlagen, sagten ›danke‹ und dann ging die Unterhaltung weiter. So waren sie eben, die lieben
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