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Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Titel: Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Autoren: Anni Bürkl
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von der Seite, sahen aber weg, wenn sein Blick sie streifte.
    »Ich bleibe nicht«, wandte sich Berenike an ihre Mutter, »aber wenn du möchtest, holen wir dich nachher ab.«
    »Nein, es muss nicht sein.«
    »Ok, dann fahren wir.«
    Gemeinsam stiegen sie wieder ins Taxi zu den anderen, und los ging es Richtung Dirndl Alm.
    »Puh«, murmelte Selene, während sie durchs wie ausgestorben daliegende Ausseerland fuhren. »Wie angenehm ruhig es hier ist.«
    »Stress?«
    »Wem sagst du das! Dieser Konsumrausch vor dem Fest!« Selene nahm die Mütze ab und schüttelte ihre langen Haare. »Und alle wollen noch alles, aber absolut alles vor dem großen Fest erledigt wissen. Mein Chef … nein, reden wir von was anderem.« Selene arbeitete als Assistentin für eine Marketingfirma, die hauptsächlich Shoppingcenter betreute. Außenwerbung war eines ihrer Spezialgebiete. »Dazu ständig dieses ›Last Christmas‹.« Selene leierte den Song übertrieben falsch und unmelodisch vor sich hin. »Ich halt es nicht mehr aus!«
    »Romantisch, so romantisch!«, zwitscherte Amélie und verdrehte die Augen. Jenny stieß die Schwester in die Rippen und flüsterte etwas.
    »Die Leut in Wien sind sowas von …« Dramatisch raufte sich Selene das eben noch apart gestylte Blondhaar.
    »Ich weiß, Schwester.«
    »Natürlich, du weißt das, Berry.«
    »Indeed.« Jetzt war Berenike doch einer der Anglizismen entschlüpft, die ihr aus der Zeit als Eventmanagerin in Wien geblieben waren – und die sie sich eigentlich abgewöhnen wollte, weil sie so oft schief angeschaut wurde dafür. Andererseits passte das zu ihr und ihrem Teesalon.
    Die Dämmerung schlich sich in die Täler wie ein scheinheiliger Gast. Leichtes Schneetreiben setzte ein. In Altaussee gingen gerade die Straßenlaternen mit kurzem Flackern an. Die blaue Stunde tauchte den still unter dem Eis daliegenden See in ein kühles Licht, malte den Schnee blassblau an. Nacktes Geäst reckte sich schwarz dem Himmel entgegen, düstere Wolken umwoben die Bergkuppen im letzten Licht des Tages. Eben noch war es hell gewesen, noch Tag, schon kam der Abend mit Gewalt.
    Nur das Schnattern der Nichten war zu hören. Rose Roither saß vorne und drehte sich ab und zu um. Dabei blickte sie fragend von einer Tochter zur anderen und wusste wie so oft nicht, was sie sagen sollte. Sie murmelte vor sich hin und sah dann wieder nach vorn.
    Endlich waren sie bei der Dirndl Alm angekommen. Ein friedvolles Winterwunderland lag vor ihnen, als sie ausstiegen. Nur der Parkplatz mit den vielen Autos störte das Bild. Weihnachten war auch nicht mehr das, was es einmal gewesen war.
    »Da seid’s ja. Herzlich willkommen!« Franz, der Hüttenwirt, war am Schneeschaufeln und begrüßte sie kumpelhaft, als wären sie alte Bekannte und echte Ausseerinnen. Nach ein paar Jahren hier in der neuen Heimat fühlte sich zumindest Berenike so. Aber wer wusste schon, was die Einheimischen dazu sagen mochten! Ihrer früheren Heimatstadt Wien fühlte sie sich jedenfalls kaum noch verbunden. Zu viele schlimme Dinge waren dort passiert. Dinge, derentwegen sie sich letztlich für einen Neuanfang im steirischen Salzkammergut entschieden hatte.
    Mit aller Macht drängte Berenike die Erinnerungen an die erlebte Gewalt weg, bevor die Verzweiflung sie lähmen konnte. Für einen Moment nahmen ihr die vor ihrem inneren Auge auftauchenden Bilder den Atem. Der Kunde, der sie in ihrer Zeit als Eventmanagerin ohne Vorwarnung angegriffen hatte. Wie sie geglaubt hatte, sterben zu müssen, bald. Und als sie sich retten konnte – dieser Unglaube in den Blicken der Leute, wenn sie von dem Überfall erzählt hatte. Doch nicht Gilbert Donner, ein angesehener Politiker! Der hatte dann eine gewisse Rolle in ihrem ersten Mordfall gespielt, kaum, dass sie sich eine neue Existenz aufzubauen begonnen hatte. Und dann die Frauenmordserie im Sommer darauf, der zuallererst Berenikes Tanzlehrerin Caro auf so grausame Weise zum Opfer gefallen war. Jedes Ereignis für sich hatte ihr wieder und wieder ihre Hilflosigkeit vor Augen geführt. Die Schichten der Gewalt überlagerten sich und vermischten sich zu irren Filmszenen. Tote, die sie selbst gesehen hatte – Tote, von denen sie nur gehört hatte. Sie würde noch irre daran werden, wie ihr Vater, der überall die Skelette der ermordeten Juden sah. Gewalt überall, sie fühlte sich wie in einer endlosen Déjà-vu-Schleife gefangen, aus der es keinen Ausweg gab. Wie sollte sie jemals mit all diesem erfahrenen
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