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Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz

Titel: Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
Autoren: Anni Bürkl
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jüngere Schwester Selene rutschte ihr hinterher und sah mit ihrer lässig aufgesetzten lindgrünen Mütze auf den hellen Haaren wie immer am entspanntesten von allen aus. Wie seltsam, dass sie, obwohl sie dieselben Eltern hatten, unterschiedlicher kaum sein konnten. Selene mit ihrer etwas molligen Figur, dem hellen Haar, das sie von der Mutter geerbt hatte, hell wie ihr Wesen. Dagegen Berenike, dunkel wie ihr Vater in jeder Hinsicht, dazu das eine Auge, das etwas schief war, vor allem unter Stress, wovon heute wenigstens nichts zu bemerken war.
    »Hallo, Tante Berry!« kicherten Selenes Töchter Amélie und Jenny, es klang nicht nach Chor und selbst als Kanon war es nicht ganz stimmig. Jenny zupfte sich die brünetten Locken zurecht und schleppte frohgelaunt ihr Snowboard Richtung Ausgang. Selbst die erstgeborene, dunkelhaarige Amélie wirkte heute lockerer als üblich. Groß waren beide geworden, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, insbesondere Amélie, die mit bald 17 Jahren Berenike fast eingeholt hatte, dabei war sie selbst mit 1,78 Meter nicht gerade klein. Aber mit der Muskelkraft haperte es bei der überschlanken jungen Frau etwas. Sie plagte sich ziemlich mit ihrem Gepäck, so dass Berenike helfend zugriff.
    »Wie war die Fahrt?«, fragte sie dann niemand Bestimmtes.
    »Ging so«, murmelte Selene. Rose quengelte: »Es gab keinen Speisewagen.« Oje, dachte Berenike, nicht das. Laut sagte sie: »Es ist sicher jemand mit heißen Getränken durch die Wagons gegangen?«
    »Das schon, aber erst ab Linz. Sag, habt ihr nicht eine Krippenandacht?« Typisch ihre Mutter. Nur ja nicht über ihre Lust auf Bier und Wein sprechen.
    Berenike zuckte die Achseln. »Ich glaub schon. Wir können bei der Pfarrkirche halten und nachsehen.« Ihr Blick wanderte zu Selene, die Schwester verdrehte die Augen, aber sie tat es sanft wie alles. Sie stiegen in das Taxi und fuhren los. Jenny lümmelte sich in den Sitz und starrte stumm nach draußen.
    »Was ist denn? Bist du müd?«, fragte Berenike sie.
    »Hmhm«, nickte Jenny.
    »Ein Lehrer«, murmelte Selene.
    »Mama, lass!«
    »So ein Arsch, der sich daneben benimmt.«
    »Mama!«
    »Was tut er denn? Wirft er mit der Tafelkreide nach den Schülern, so wie nach uns damals?« Berenike grinste Selene an.
    »Schlimmer. Er ist ein Grabscher.«
    »Mama! Hör auf damit!«
    »Auf einem Schulausflug hat er sich an mehrere Mädchen heran gemacht. Wir kümmern uns drum.«
    »Unglaublich, dass es das immer noch gibt.« Berenike erinnerte sich nur zu gut an ihre eigene Schulzeit. Übergriffe, Bedrohungen, ein Lehrer, der die ganze Klasse aus Zorn, weil sie nicht aufmerksam genug war, in der Pause im Physiksaal eingesperrt hatte. Männer schienen sich alles erlauben zu können. Mädchen, die sie nicht kannten, auf den Arsch greifen, auf den Busen, sie umarmen. Und wenn sich eine wehrte, Widerworte gab, lachten sie und es hieß, man sei nicht locker genug. Das Schlimmste war – es war so schrecklich normal gewesen. Jede hatte irgendwann von einem Vorfall erzählt. Erst mit einem gewissen Alter hatte das aufgehört …
    »Der Typ muss weg.« Die sonst so sanfte Selene hörte sich ziemlich rabiat an.
    »Mama, das geht nur uns etwas an.« Jennys Stimme klang sehr bestimmt. »Wir regeln das. Aus eigener Kraft.«
    Selene nickte.
     
    Auf Roses Wunsch hin stoppten sie tatsächlich vor der Bad Ausseer Pfarrkirche. Rose stieg aus, Berenike folgte ihr. Sie betraten das Gotteshaus durch das große, verwitterte Holztor. In dem alten Gemäuer wirkte es fast noch eisiger als draußen. Die feuchtkalte Luft legte sich wie Kelleratem auf ihre Wangen, ihre Schleimhäute. Gemeinsam mit ihrer Mutter beugte sich Berenike über das neben dem Eingang angeschlagene Programm für die Festtage. Es sollte wirklich jeden Moment eine Andacht beginnen. Einige Leute saßen bereits in den Bänken, vor allem Kinder. Ein Priester im Messgewand huschte herein, ging den Gang zum Altar nach vorne. Seine Wangen waren glattrasiert, seine Vollglatze glänzte ebenso rosig wie sein Gesicht. Er blieb bei einer Gruppe vielleicht zwölfjähriger Buben in einer Bank auf der rechten Seite stehen, sprach leise mit ihnen. Im Weitergehen strich er einem jüngeren Buben über den Kopf, der drückte sich unter der Hand weg und näher an eine ältere Frau neben ihm.
    Berenike roch den Weihrauch, die Körperausdünstungen der Menschen, die verbrauchte Luft. Die meisten Kinder lächelten, einige gezwungen. Dabei betrachteten sie den Priester forschend
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