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Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Titel: Nachtwesen - Die Vollstreckerin
Autoren: Sabine Pagel
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unterbrach eine herrische Handbewegung Lynns seinen zähen Redefluss – und augenblicklich wurde es still im Raum. Keiner der Anwesenden gab mehr einen Laut von sich, als sie sich vorbeugte und ihren seelenlosen Blick in Seinen tauchte.
    „Du wirst es erkennen, Mensch...“, raunte sie ihm zu, ehe sie blitzschnell ihre Fänge in seinen Hals schlug. Der junge Mann saß steif und starr, halb unter ihr begraben, und starrte entsetzt in die Tiefe des Zimmers. Seine suchenden Hände in den Stoff des Diwans gekrallt, schien er mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. Irgendwann fingen seine Lider an zu flattern und er sackte mit einem Stöhnen in sich zusammen.
    Mit erstaunlich sanfter Bewegung bettete Lynn ihn auf den Diwan und griff nach einem fein gearbeiteten silbernen Dolch, welcher auf einem kleinen Tisch lag. Der Schnitt in ihre Hand war nicht tief, entließ jedoch einige dunkelrote Tropfen ihres Lebenssaftes, welche sie auf des Jünglings halb geöffnete Lippen rieseln ließ. Dann erhob sie sich und sah in die Runde der umstehenden Gäste. „Es ist vollbracht.“
    *
    Die Zeit bis zu dem Erwachen des neu geschaffenen Nachtwesens wollte Kyrana im Garten des Anwesens abwarten – mit sich und ihren Gedanken alleine. Das gerade Erlebte wollte durchdacht und verarbeitet werden. So saß sie nun in Lynns Gartenpavillon auf einer steinernen Bank und drehte ihren Kelch in den Händen. Der junge Mann tat ihr nicht leid, nicht im Geringsten.
    Und doch sah sie ununterbrochen seine panisch aufgerissenen Augen vor sich. Genau wie sie selbst seinerzeit wusste er nicht, was auf ihn zukam und Lynns geheimnisvolles Gerede hatte ihn mehr verwirrt, als beruhigt. „Kleine Hexe, hier bist du.“ Kelmars Stimme riss sie aus ihren Gedanken und ließ sie aufblicken. „Ich habe dich gesucht. Fühlst du dich nicht wohl?“
    Er klang besorgt, sodass sie schnell mit einem Kopfschütteln lächelte und ihm winkte, sich doch neben sie zu setzen. „Ich dachte nur über meine eigene Wandlung nach. Und darüber, wie viel Angst man doch unnötigerweise hat“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Er nahm neben ihr Platz und sah forschend in ihr Gesicht. „Hat es dir je leid getan, Kyrana?“,erkundigte er sich schließlich. „Du kannst es mir ruhig sagen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich es höre...“
    „Nein, nein, im Gegenteil!“, gab sie eilig zurück. Wie kam er denn nur auf solche Gedanken? „Es war das Beste, was mir je in meinem Leben passiert ist.“ Schnell legte sie eine Hand auf seinen Arm, um ihn zu beruhigen. „Du weißt doch, dass ich in meinem menschlichen Leben unglücklich war. Niemand mochte mich leiden; ich war so oft einsam und fragte mich, wozu ich überhaupt gut bin. Aber du hast...“ Verlegen verstummte sie und senkte den Blick in ihren Kelch.
    Sanft umschlossen Kelmars Finger ihre Hand und seine Stimme kam einen Flüstern gleich: „Sieh mich an, kleine Hexe“, bat er. „Ich habe deine besondere Schönheit erkannt, deine innere Stärke und deinen unbändigen Willen, mit der finsteren Magie Eins zu werden. Ist es nicht so?“ Kyrana nickte und sah zurück in seine Augen. Es lag soviel Güte und Freundlichkeit darin, dass sie schlucken musste. Jetzt, jetzt würde sie es ihm sagen – keine Gelegenheit könnte besser sein, als dieses Zusammentreffen in einem romantischen Pavillon.
    Er hatte sie gesucht. Weil er sich um sie sorgt. Grund genug, ihm endlich, nach all den Jahrzehnten ihre bedingungslose Liebe zu gestehen. „Ich...“, hob sie an und musste sich räuspern, weil ihre Stimme so zitterte. „Ich...“ „Ja? Du?“ Die gespannte Erwartung in Kelmars Augen sprang ihr förmlich entgegen und ließ ihren Mut sinken.
    Vielleicht war es doch kein so guter Gedanke, ihm jetzt und hier... „Ich habe mich gefragt, ob du mit Niobe glücklich bist. Sie wirkt immer so traurig und abweisend“, hörte sie sich schließlich sagen. Und biss sich sogleich auf die Lippen. Kelmars Blick verfinsterte sich augenblicklich und der Griff um ihre Hand wurde fester. Ein Schweigen folgte, in dessen Verlauf hunderte Gedanken durch ihren Kopf schwirrten, denn sie wusste nicht, was dieser Ausdruck in seinen Augen zu bedeuten hatte. Wie konnte sie auch so dämlich sein, sich in seine Angelegenheiten einzumischen?
    Es ging sie überhaupt nichts an, ob er mit seiner Gemahlin glücklich war – oder jene mit ihm. Gerade wollte sie etwas Beschwichtigendes, Entschuldigendes nachschieben, als er wieder die Stimme erhob. „Es war ein
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