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Nachtprogramm

Nachtprogramm

Titel: Nachtprogramm
Autoren: David Sedaris
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sich bei den Tomkeys für die kurze Abwesenheit entschuldig te und wie anschließend meine Süßigkeiten in ihren Tüten landeten.
    »Wie sagt man?«, fragte Mrs. Tomkey.
    Und die Kinder sagten: »Vielen Dank.«
    Ich hatte mir Ärger eingehandelt, weil ich meine Süßigkeiten nicht früher herausgerückt hatte, doch war der Ärger für meine Schwestern noch viel größer, weil sie erst gar nichts in dieser Richtung unternommen hatten. Den frühen Abend verbrachten wir alle auf unseren Zimmern, dann schli chen wir einer nach dem anderen nach oben und setzten uns zu meinen El tern vor den Fernseher. Ich kam als Letzter und hockte mich neben das Sofa auf den Boden. Es lief ein Western, doch selbst ohne das Hämmern in meinem Kopf hätte ich der Geschichte kaum folgen können. Eine Hand voll Outlaws stand auf einem felsigen Hügelkamm und spähte blinzelnd nach einer sich von Ferne nähernden Staubwolke, und ich musste wieder an die Tomkeys denken und wie einsam und verloren sie in ihren albernen Kostümen ausgesehen hatten. »Was hatte der Junge da eigentlich als Schwanz?«, fragte ich. »Pssst!«, kam es von allen Seiten.
    Monatelang hatte ich diese Leute beschützt und auf sie aufgepasst, doch jetzt hatten sie durch eine einzige dumme Tat dafür gesorgt, dass mein Mit leid sich in etwas Hartes und Hässliches verwandelt hatte. Es hatte keine Freundschaft gegeben zwischen den Tomkeys und mir, aber immerhin hatte ich sie mit dem Geschenk meiner Neugier bedacht. Über die Tomkey Familie nachzudenken, hatte mir ein Gefühl von Großherzigkeit gegeben, doch jetzt würde ich einen anderen Gang einlegen und Spaß daran finden müssen, sie zu hassen. Die einzige Alternative war, dem Rat meiner Mutter zu folgen und einen scharfen Blick auf mich selbst zu werfen. Es war ein alter Trick, um den Hass auf andere nach innen zu lenken, und ich war ent schlossen, nicht darauf hereinzufallen, auch wenn sich das von ihr beschworene Bild nicht so leicht abschütteln ließ: ein Junge, der auf seinem Bett sitzt, den Mund mit Schokolade verschmiert Er ist ein menschliches Wesen, gleichzeitig aber auch ein Schwein, das inmitten von lauter Abfällen hockt und gierig alles verschlingt, damit nur ja kein anderer etwas ab bekommt. Gäbe es nur dieses eine Bild auf der Welt, wäre man gezwungen, seine ganze Aufmerksamkeit darauf zu richten, doch zum Glück gab es noch andere. Die Kutsche, zum Beispiel, die mit Kisten voller Gold in der Wegbiegung erschien. Das glänzende, neue Mustang Cabriolet. Das Mädchen mit dem wallenden Haar, das Pepsi durch einen Strohhalm schlürfte, ein Bild nach dem anderen, ohne Unterbrechung, bis zu den Nachrichten und was immer danach kam.

Lass es schneien
    In Bingbamton, New York, bedeutete Winter Schnee, und obwohl ich noch klein war, als wir wegzogen, konnte ich mich an große Mengen Schnee er innern und dies als Beweis dafür in Anschlag bringen, dass North Carolina bestenfalls eine drittklassige Einrichtung war. Das bisschen Schnee, das dort herunterkam, war gewöhnlich ein oder zwei Stunden später bereits geschmolzen, und dann stand man da in seiner Windjacke und den wenig überzeugenden Fäustlingen und formte ein klumpiges Gebilde, das größtenteils aus Dreck bestand. Schneeneger sagten wir dazu.
    In dem Winter, als ich in die fünfte Klasse ging, hatten wir allerdings Glück. Es schneite, und zum ersten Mal seit Jahren blieb der Schnee auch liegen. Die Schule fiel aus, und zwei Tage später hatten wir noch einmal Glück. Es lagen zwanzig Zentimeter Schnee, und anstatt zu tauen, bekamen wir Frost. Am fünften Tag unserer Ferien erlitt meine Mutter eine kleine Nervenkrise. Unsere Anwesenheit hatte ihr geheimes Leben durcheinander gebracht, das sie führte, während wir in der Schule waren, und als sie es nicht länger aushielt, setzte sie uns vor die Tür. Nicht mit einer freundlichen Bitte, sondern mit einem handfesten Rausschmiss. »Schert euch bloß aus meinem Haus«, sagte sie.
    Wir erinnerten sie daran, dass es auch unser Haus war, woraufhin sie nur die Haustür öffnete und uns in den Carport schob. »Und wehe, es kommt einer rein!«, rief sie.
    Meine Schwestern und ich gingen den Hang hinunter und fuhren mit den Kindern aus der Nachbarschaft Schlitten. Einige Stunden sp äter kehrten wir nach Hause zurück, doch war die Tür zu unserer Überraschung immer noch verschlossen. »Also, jetzt ist aber genug«, sagten wir. Ich drückte auf die Klingel, und als niemand kam, gingen wir zum Fenster und sahen
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