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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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gegen ein Auto? Wir Menschen ruinieren alles.«
    Gerhard atmete tief durch. Er hatte Evi viel zugemutet
in diesem Fall. Es war nur verständlich, dass sie nahe am Wasser gebaut hatte.
Und was hatte Jo gesagt vom grenzenlosen Schmerz, vor dem es kein Entrinnen
gab? Er hätte Evi etwas Aufmunterndes sagen müssen. Aber stattdessen
formulierte er: »Ja, wir sind Meister im Zerstören. Wir zerstören fremde Leben.
Und unsere eigenen.«
    »Letzteres ist immer noch besser, als zum Henker
anderer zu werden«, sagte Evi voller Bitterkeit.
    »So einfach ist das nicht, Evi. Marianne Erhard hat
sich nicht einfach ihr Leben genommen und ihr eigenes Leben ruiniert. Sie hat
auch ihren Bruder allein gelassen mit all seinen Lebenslügen.«
    »Er ist nicht allein. Er hat noch eine Schwester. Er
muss verurteilt werden wegen des Kindes. Bevor er nach Kanada geht!«
    »Wozu?«
    »Du gibst auf, Weinzirl? Du lässt ihn laufen?
Davonkommen?« Evi wirkte, als wolle sie ihn schütteln, ihn aufrütteln.
    »Er ist nicht davongekommen. Er ist gefangen.
Schlimmer als in jedem Gefängnis«, sagte Gerhard.
    »Weinzirl, das bist du nicht, dich mit so einem
Ausgang zufriedenzugeben. Er hat einen Menschen ermordet. Was ist los mit dir?«
    »Nichts ist los. Ich bin realistisch. Er hat ein Kind
überrollt. Das war ein Unfall. Kein Mord. Er hat den Unfall verschleiert. Das
ist ein Verbrechen.«
    »Und das könnten wir aufdecken!«
    »Wozu, Evi? Der Bub ist tot. Die Eltern haben sich mit
dem Tod abgefunden.« Gerhard versuchte ein Lächeln, das ihm misslang.
    »Abgefunden? Na toll – und sie werden damit leben
müssen, nie zu wissen, wer es war. Es war der unbekannte Discoraser. Ich
begreif dich nicht, Gerhard!«
    »Evi, überleg gut, was du da sagst. Wäg ab: Willst du
den Eltern nach zwei Jahren jetzt einen präsentieren, auf den sie alle ihre Wut
fokussieren können? Einen, der alles wieder aufwühlt? Willst du das?«
    »Aber Gerhard, das ist ihr Recht!«
    »Verquicke nie Recht und Gerechtigkeit, nicht Wahrheit
und Wahrhaftigkeit, nicht Opfer und Täter. Nicht Schuld und Sühne.«
    »Weinzirl, ich sag das noch mal: Das bist du nicht. Du
musst doch die Wahrheit ans Licht bringen. Dazu hast du dich verpflichtet.«
    Evi war wirklich fassungslos. Gerhard spürte das
deutlich und hätte ihr so gerne seine Beweggründe erklärt. Aber die Worte
stellten sich tot. Er hätte ihr gerne Baiers Theorie über die Balance im Leben
gesagt, ihr versucht zu vermitteln, dass sich alles rächte, dass es ohne Licht
keinen Schatten gab, dass man, um helle Berge zu erklimmen, erst durch dunkle
Täler musste. Am liebsten hätte er es herausgeschrien, wie sehr er sich
wünschte, Friedl den Hals umzudrehen. Wie sehr er sich wünschte, dass die
laufenden Ermittlungen und die Suche nach den beiden gekauften Killern etwas
ergeben würde.
    Aber er sagte nur sehr kühl: »Wir haben nur das
Gespräch in seiner Stube. Das haben wir nicht aufgezeichnet. Wir haben kein
weiteres Geständnis mehr. Welcher Staatsanwalt würde da mitziehen? Keiner!
Nie!«
    »Aber wir sind zwei glaubwürdige Staatsbeamte. Gegen
einen Verdächtigen. Es gibt die alten Unterlagen von Baier, der damals schon
Zweifel hatte. Natürlich können wir den Fall wieder aufrollen! Wir müssen ihn
wieder aufrollen, das ist unsere Pflicht!«, rief Evi.
    »Evi, Baier hat mir abgeraten. Er hat gesagt, er täte
es nicht.«
    »Was? Wie?«
    »Baier teilt meine Meinung. Er hat explizit gesagt, er
würde den Fall ruhen lassen.«
    Evi schien kurzzeitig aus dem Konzept zu sein, dann
hob sie wieder an: »Baier ist im Ruhestand. Vielleicht interessiert ihn das
nicht mehr. Wir sind aber noch dabei.«
    »Werd nicht unfair. Baiers Moral ist unantastbar. Er
würde wahrscheinlich sogar zurückkommen, wenn er überzeugt wäre, es diene der
Gerechtigkeit. Nein, Evi, eine Wiederaufnahme nutzt keinem.«
    Evi schwieg eine Weile. »Und was ist mit Jacky?«
    »Erhard hat Jacky nicht getötet. Nicht nach seiner
Aussage und nicht nach unserer Theorie. Wenn sie stimmt!«
    »Aber natürlich stimmt sie. Es muss so passiert sein.
Wenn Marianne nur einen anderen Abschiedbrief hinterlassen hätte als diesen
nichtssagenden. Eifersucht, was für ein Unsinn, das war doch nicht der Grund!
Der Grund war ihre Angst, dass ihr fragiles Lebenskonstrukt zerbrechen würde.
Sie hatte doch nur noch ihren Bruder und mit dem wollte sie nun auch alt
werden. In Ruhe. Die Lügen irgendwo hinkehren.« Evi war völlig aufgelöst.
    »Evi, du bist doch nicht so
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