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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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redete lange, sehr lange für seine
Verhältnisse.
    Baier hatte zugehört, ohne ihn dabei anzusehen. »Sie
haben alles richtig gemacht, Weinzirl. Hätte ich auch nicht anders gemacht.
Und, Weinzirl …«
    »Ja?«
    »Ich täte es nicht.«
    »Nein? Ganz bestimmt? Sind Sie sich da sicher?«
    »Ich denke schon seit Tagen darüber nach. Unter den
gegebenen Umständen täte ich es nicht. Was nützt das alles noch? Und wem?«
    Baier war aufgestanden und legte Holz nach.
    »Und Friedl?«, fragte Gerhard schließlich und starrte
auf die Glasscheibe, hinter der das Feuer flackerte.
    »Sie haben sich einen Job ausgewählt, in dem man
verlieren kann. Wenn Sie bisher immer gewonnen haben, gut für Sie, mein Lieber.
Aber Sie sollten sich auch daran gewöhnen, zu verlieren. Siege korrumpieren,
Niederlagen machen uns stärker. Lassen Sie sich Zeit, Weinzirl. Und dem Leben.
Irgendwann erwischt es ihn.«
    Gerhard nahm einen tiefen Schluck. »Ist das nicht der
Trost, den wir suchen? Reden wir uns das nicht ein zur Beruhigung? Wir wollen
das glauben, dass die Bösen irgendwann einmal fallen.«
    »Er wird fallen. Tief fallen. Das ist keine
Beruhigung. Es passiert. Sie brauchen nur Geduld.« Baier machte eine kleine
Pause, und dann sagte er: »So, Weinzirl, und Sie gehen jetzt ins Bett. Nehmen
die Medikamente, die Sie verschrieben bekommen haben. Meine Frau fährt Sie.«
    Frau Baier lieferte ihn zu Hause ab, wenig später kam
Kassandra. Sie verabreichte ihm seine Tabletten und rieb ihn mit der übel
riechenden Salbe ein. Er war ihr dankbar, aber die Behandlung war völlig
unerotisch. Vor einigen Wochen wäre das anders gelaufen. Sehr viel anders.
»Kassandra, ich, ich …«
    Sie legte ihm den Finger auf den Mund. »Lass gut sein.
Wir haben uns nie was versprochen, oder? Du bist völlig im Eimer. Das ist keine
gute Zeit, um in sich hineinzuhorchen, wohin das Herz will. Reden wir ein
andermal.«
    Kassandra war eine sensationelle Frau. Jeder Mann
müsste dem lieben Herrgott mehrmals am Tag danken, so eine Partnerin, Freundin
und Geliebte zu haben. Er war nicht jeder Mann, und er liebte sie nicht. Das
wusste er auf einmal.
    Kassandra machte eine Kopfbewegung, die ihm sagte, es
sei Zeit, sich hinzulegen. Sie setzte sich an sein Bett, und es war gut, die
Anwesenheit eines Menschen zu spüren. Er dämmerte ein, aber er sah doch noch
aus dem Augenwinkel, als sie ging. Und er sah, dass Tränen über ihr schmales
Gesicht liefen. Den nächsten Tag verbrachte er mehr oder weniger im Bett, Evi
hatte das Büro zu einer Bannmeile erklärt. Hajo brachte ihm eine Brotzeitplatte
rüber. Sarahs schwarzer Kater war begeistert: endlich mal ein Mensch, der den
ganzen Tag im Bett blieb, den man stundenlang belegen konnte und der dann auch
noch den Schinken mit einem teilte.
    Die Beerdigung von Marianne Erhard fand einen Tag
später statt. Es waren überwältigend viele Menschen gekommen. Gerhard und Evi
hielten sich am Rande. Als alle zum Leichenschmaus aufbrachen in die Halle nach
Rottenbuch, kam eine junge Frau auf sie zu. Es war eine aparte Frau. Und auf
einmal wurde sich Gerhard der Familienähnlichkeit gewahr. Alle Erhards hatten
die gleichen langen und geraden Nasen und die braunen Augen, in denen eine
gewisse Traurigkeit lag. Marianne Erhard hatte sich sehr altbacken gekleidet,
aber eigentlich war sie eine hübsche Frau gewesen, groß und schlank. Und wenn
man sich bei Anton Erhard den Almöhi-Bart wegdachte, war auch er eigentlich ein
attraktiver Mann. Die Frau lächelte die Kommissare offen an:
    »Sybille McNeill, geborene Erhard. Mein Bruder lässt
ausrichten, dass Sie gerne mit nach Rottenbuch kommen sollen.«
    Gerhard schaute Evi an, diese wirkte überrascht. »Ähm,
wir …«
    »Überlegen Sie es sich.« Sie lächelte nochmals und
ging davon. Sie trug hohe Stiefel, eine schwarze, schmal geschnittene Hose und
eine kurze schwarze Jacke mit einem Kunstpelzkragen. Ihr rötliches Haar war zu
einem Pferdeschwanz gebunden.
    »Das find ich jetzt etwas seltsam, oder? Erhard wird
uns doch wohl am wenigsten sehen wollen. Er weiß doch, dass die Geschichte noch
nicht zu Ende ist«, sagte Evi.
    Gerhard hätte antworten können. Antworten, dass die Geschichte
wohl doch zu Ende war. Dass sie verloren hatten, aber er wollte Evis Elan nicht
bremsen. »Gehen wir hin, vielleicht erfahren wir noch etwas.« Er klang lasch,
nicht überzeugend, aber von Evi kam kein Widerspruch. Und so saßen sie in der
Halle in Rottenbuch, tranken Kaffee und Tee, aßen Kuchen, den
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