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Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)

Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)

Titel: Nachtkalt: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Mark Franley
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das passiert eigentlich nur bei Unfällen, oder wenn jemand Angst und Schmerz nicht mehr anders kanalisieren kann. Wenn wir Glück haben, finden wir die zweite Hälfte in dem Magen der Toten.« Als wäre das alles völlig normal, trat der Doktor nun wieder einen Schritt zurück und wies Ute an: »Fahren Sie fort, ein Kopf besteht ja nicht nur aus dem Mund.« Jetzt hatte er sein Ziel erreicht, denn alleine seine Wortwahl sorgte dafür, dass Utes Hände zu zittern begannen und sie ihre ganze Konzentration in die Untersuchung legte.
    Dieses Mal begann sie bei den Haaren und arbeitete sich, ohne etwas zu finden, bis zur Stirn vor. Anschließend hob sie den Kopf ein wenig und schwenkte die Lampe so, dass sie in die typisch platte Nase der Asiatin blicken konnte, doch auch hier war nichts Auffälliges zu finden. Anja bewunderte, wie schnell sich ihre Freundin wieder unter Kontrolle hatte, denn deren Griffe wirkten jetzt fast schon routiniert.
    Nun waren die noch geschlossenen Augen an der Reihe. Wieder platzierte Ute die Lampe, legte zwei Finger auf das rechte Augenlid und zog es nach oben. Utes Körper reagierte fast ohne Vorwarnung und alleine die Tatsache, dass sich das große Spülbecken direkt neben ihr befand, bewahrte den Boden davor, etwas von ihrem Mageninhalt abzubekommen. Natürlich waren auch die Blicke der anderen Studenten Utes Händen gefolgt, hatten aber zumindest mit etwas Abstand gesehen, was sie gesehen hatte. Einige würgten, andere drehten sich einfach weg und gaben ihrer Fassungslosigkeit mit Worten Ausdruck. Sie alle hatten schon große, blutende Wunden gesehen, aber der durch einen feinen Schnitt zerstörte Augapfel eines Menschen war etwas anderes. Jedem im Raum war nun klar, warum ein Stück der Zunge fehlte, denn diese Prozedur hielt kein Mensch aus, ohne durchzudrehen. Nun stand nur noch eine einzige Frage im Raum: Welcher Mensch tat so etwas einem anderen Menschen an?

6
    Anja, Florian und Ute war auch zwei Stunden nach der Obduktion noch immer nicht zum Lachen zumute. Dr. Gruber hatte ihnen allen zwar ein kurze Pause gegönnt, dann aber darauf bestanden, dass sie es zu Ende brachten.
    Nun saßen die drei in der ruhigen Ecke eines Cafés und versuchten, das Erlebte aus medizinischer Sicht zu begreifen, kamen aber immer wieder auf das Verbrechen selbst zu sprechen. Nach einer halben Stunde verabschiedete sich Ute, die immer noch mit ihrem Magen kämpfte, und ließ Anja und Florian alleine zurück.
    »Wo wohnst du eigentlich?«, fragte Anja, als ihr die Stille zu lange andauerte. Florian schien einen Augenblick zu brauchen, um die Frage zu verstehen: »Ich ... entschuldige, ich war gerade in Gedanken ... ich wohne bei einer älteren Frau, die eine kleine Einliegerwohnung im Keller ihres Hauses vermietet. Die Bude war ein Glücksfall und ist zu Fuß gerade einmal zehn Minuten von hier.« Es folgte eine kurze Pause, in der Anja ihm ansah, dass er versuchte, die düsteren Gedanken abzuschütteln. Anschließend schaffte er sogar dieses Lächeln, das sie so an ihm mochte, als er fragte: »Und du ... wohnst du noch bei deinen Eltern? Wenn ich mich recht erinnere, hast du mir vorgestern erzählt, dass deine Eltern ein Haus in der Gegend haben.«
    Für einen Augenblick verfinsterte sich Anjas Gesichtsausdruck, doch auch sie schob die dunklen Wolken beiseite und antwortete scheinbar locker: »Nein. Es stimmt zwar, dass meine Mutter drüben in Dechsendorf ein Haus hat, aber irgendwann wurde es mir dort zu viel. Jetzt habe ich eine kleine gemütliche Einzimmerwohnung in einem der Hochhäuser, drüben an der Autobahn. Es ist zwar nicht luxuriös, aber ich habe meine Ruhe.« Anja wusste, dass ihm ihre Anspannung nicht entgangen war, senkte den Blick auf ihre Cola und beschloss, gleich alles zu erzählen. Sie mochte Florian und irgendwann musste sie damit anfangen sich wieder zu öffnen. Hinzu kam, dass er nicht nachfragte, was es ihr leichter machte. Sie kniff kurz die Lippen zusammen und begann zu erzählen: »Am Anfang gab es nur mich und meine ältere Schwester Nora. Zehn Jahre lang hatten wir eine glückliche Kindheit ... heile Familie und so ...« Florian nickte verstehend. »Unsere Eltern verstanden sich prima und auch zwischen Nora und mir war, bis auf die üblichen Zickereien, alles in Ordnung. Doch dann wurde meine Mutter wieder schwanger und brachte mit vielen Komplikationen Gerald auf die Welt. Ich glaube, das war auch der Augenblick, an dem ich beschloss Ärztin zu werden. Meine Mutter wäre bei
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